Die Luft ist klar an dem Spätsommertag auf der Burg Bernstein. „Man sieht die Riegersburg heute sehr gut, da hinten am Horizont“, sagt Erasmus Almásy und deutet über die Burgmauer in die Ferne. Hinter ihm wirft ein mächtiger Kastanienbaum seine Schatten. „Der ist ungefähr 250 Jahre alt, noch aus der Zeit der Batthyánys“, erzählt der aktuelle Burgherr, „und natürlich für Kinder der perfekte Kletterbaum.“
800 Jahre Vorgeschichte
Er muss es wissen, schließlich ist er hier, auf der höchstgelegenen Burg des Burgenlandes aufgewachsen, gemeinsam mit seinen drei Geschwistern – und so wie schon vier Generationen der Familie Almásy vor ihm. Seit 1892, als das Burgenland noch Westungarn war, ist das Anwesen in Familienbesitz.
„Die Burg selbst ist aber schon deutlich älter“, sagt der junge Burgherr. Erstmals erwähnt wurde sie im Jahr 1236, wechselte seither mehrmals die Besitzer und war eine Zeit lang sogar als Raubritterburg verschrien. Am längsten, nämlich 220 Jahre, konnte sich bisher die Familie Batthyány auf dem Felsen halten.
Von ihnen stammt auch das Wappen, das über dem Burgtor prangt. Ein Pelikan, der sein Herz öffnet, um seine Jungen mit dem Herzblut zu füttern. „Sehr dramatisch – und ein altes Symbol für Jesus“, erklärt Erasmus. Um lachend zu ergänzen: „Wenn man daran glaubt. Wir sind alle ausgetreten.“
Zahlreiche Herausforderungen
Gemeinsam mit Schwester Anna führt er die Geschicke der Burg, seit die Eltern vor einigen Jahren in Pension gingen. Davor allerdings lebte er in Wien, studierte Physik und lernte Johanna, mittlerweile seine Frau und Mutter der gemeinsamen kleinen Tochter Aurelia kennen. „Sie hat mich trotz der Burg geheiratet“, sagt Erasmus lächelnd, „sie hat gesehen, was das für eine Last sein kann.“
Tatsächlich bringt das Leben in einem so geschichtsträchtigen Gebäude eine ganze Reihe an Herausforderungen mit sich: Ganz aktuell ist die Klimakrise eines der großen Probleme für die Burgbewohner. „Wir sind hier sehr exponiert, bei uns geht der Wind einfach doppelt so stark wie unten im Dorf. Wenn ich mir die letzten Jahre anschaue, was da an Sturmschäden passiert ist, das wird immer mehr.“ Erst diesen Juli zerstörte ein Sturm einen Teil des Daches.
Dazu kommt noch das ursprüngliche Konzept, dass sich eine Burg über ihre Ländereien selbst erhalten könne. „Dass sich das Haus selbst tragen muss, war nie Teil des Plans“, sagt er, „das ist fast unmöglich, einfach weil die Kosten immens sind.“
Onkel und Tanten
Auch deshalb wird ein Teil der Burg seit den 50er-Jahren jeweils zwischen Mai und Oktober von der Familie als exklusives Hotel geführt (burgbernstein.at). „Wir haben Stammgäste, die kommen teilweise seit 40 Jahren und haben mich aufwachsen sehen – ein bisschen wie Onkeln und Tanten, die einmal im Jahr zu Besuch kommen“, erzählt Erasmus.
Ein sichtbares Zeichen davon steht mitten im hell gekiesten Burghof: Ein kleines Nussbäumchen, umgeben von rosa Cosmeen – ein Geschenk einer über 90-jährigen Dame, die es zwar selbst nicht mehr auf die Burg schafft, aber wollte, dass etwas von ihr an diesem Ort bleibt.
Eines müssen die Gäste der historisch eingerichteten Zimmer auf jeden Fall zu schätzen wissen: die unendliche Ruhe, die die alten Mauern umgibt. „Es ist hier fast wie eine Insel“, sagt Erasmus. Dafür ist der Aufenthalt auch garantiert entschleunigend. Es gibt auf den Zimmern weder Telefon noch Fernseher und auch das WLAN sei furchtbar schlecht. “Bei uns geht halt alles ein bisschen langsamer.“
„Verrückte“ Vorfahren
Dafür kann man dann aber auch im Zimmer des berühmtesten Burgbewohners schlafen: Des Piloten und Saharaforschers Laszlo Almásy, dessen Leben in Michael Ondaatjes Roman „Der englische Patient“ – und dessen mehrfach oscarprämierter Verfilmung mit Ralph Fiennes in der Hauptrolle – verewigt wurde. Wenn auch reichlich ausgeschmückt: Weder gab es eine tragische Liebesgeschichte noch erlitt er nach einem Flugzeugabsturz großflächige Verbrennungen. „Er war aber schon ein sehr verrückter Kerl, ein Abenteurer, der auch sein Leben riskiert hat.“ Im selben Zimmer hängen auch Fotos einer weiteren Pionierin: Erasmus' Großmutter Maria, der ersten Frau in Österreich mit dem Motorflugschein.
Im Stiegenhaus hallen die Schritte auf der breiten Marmortreppe. Rundherum hängen die Wappen der Vorbesitzer. Ein Ort, der die eigenen Probleme wieder in die richtige Perspektive rückt, sagt Erasmus. Denn sämtliche Familien in der 800-jährigen Geschichte der Burg mussten den Besitz irgendwann aufgeben. Aus Geldnot, wegen Kriegen, weil es keine Nachkommen gab.
„Da kommt man schon ein bisschen ins Grübeln, wie lange man selbst noch da ist. Fix ist, auch meine Familie wird nicht für immer hier sein.“ Nichts sei eben für die Ewigkeit. Und auch seine Tochter soll den Betrieb eines Tages nur übernehmen, wenn sie das wirklich möchte – so wie es auch ihm selbst von seinen Eltern freigestellt war.
Vorurteile
Mit welchem Klischee er gerne aufräumen würde? „Dass man sofort in das rechte, konservative Eck gesteckt wird, wenn man sagt, dass man auf einer Burg lebt. Wir sind eigentlich ziemlich linke Ökos, aber das glaubt uns keiner“, sagt er über sich und seine Frau, die als Biologin Naturführungen rund um die Burg anbietet.
Was man weitergibt
Er gibt Präsident Van der Bellen recht: Man dürfe die Traditionen nicht den Rechten überlassen. Konservativ sei er maximal im Sinne von „bewahrend“: Denn niemand besitze die Burg wirklich, man erhalte sie nur für die nächsten Generationen, und gebe sie im gleichen oder besseren Zustand weiter. „Das wäre doch ein Konzept, das man auf die ganze Welt ausweiten könnte.“
Der Spaziergang führt in ein anderes Gästezimmer, das alte Büro des Großvaters. In einem kleinen, sonnigen Erker stehen ein kleiner Tisch und zwei Sessel. Erasmus nimmt Platz und blickt aus dem Fenster. „Das da drüben ist die Wetterseite. Wenn ein Gewitter aufzieht, sieht man es kommen, das ist sehr beeindruckend.“
Und ab und zu, wenn man nur lang genug in der Stille der alten Mauern verharrt, sieht man die Turmfalken unter sich vorbeifliegen.
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