Es muss ein aufregendes Ereignis gewesen sein: Mit einem „Weihnachtskorso“ testete man vom 27. November 1971 bis zum 2. Jänner 1972 ein damals für viele Menschen unvorstellbares Konzept: Der Stephansplatz und Teile des Grabens wurden erstmals zur Fußgängerzone erklärt.
Der Start der Aktion wurde wie ein Volksfest zelebriert – mit riesigen Deko-Bällen, Musik aus Lautsprechern und einem Kasperltheater. Während sich die Bevölkerung freute, verspürten viele ein mit Klassendünkel unterfüttertes Unbehagen: „Die ,feinen Geschäftsleute’ äußerten übereinstimmend die Meinung, die Qualität des Käuferpublikums habe sich zugunsten der Quantität verschlechtert“, schrieb der KURIER am 10. 12. 1971.
Es sind Argumente, die sich heute, 52 Jahre später, überraschend vertraut anhören. Wie berichtet, ist eine neuerliche, durch technische Mittel kontrollierte Verkehrsberuhigung in der Innenstadt weitgehend beschlossene Sache. Gegner des Plans argumentieren, dass die Luxusboutiquen der City leiden würden, wenn die Pkw-Einfahrten und die Garagen-Kapazität nicht ausgebaut würde: „Individuelle Mobilität ist noch immer mit Kaufkraft verbunden“, sagte der Innenstadt-Händler Rainer Trefelik im KURIER.
Wäre es nach Victor Gruen gegangen, wäre die Beruhigung der City freilich schon vor 50 Jahren weitaus radikaler verlaufen. Der Wiener Architekt und Stadtplaner, der sich vor seiner 1938 erzwungenen Emigration mit dem Design von Luxusboutiquen (u. a. einer Parfümerie im Hotel Bristol am Ring) einen Namen gemacht hatte, wurde 1969 von seinem Jugendfreund Felix Slavik – ab 1970 Wiener Bürgermeister – mit einem Konzept zur Neugestaltung der Wiener Innenstadt beauftragt. Gruen war ein Heimkehrer, im US-Exil hatte er zahlreiche Einkaufszentren geplant – international gilt er heute als „Erfinder“ der Shoppingmall.
Die beiden unterschiedlichen Konzepte – die ebenfalls 1969 ersonnene Shopping City Süd war Gruen übrigens ein Gräuel – verband die Idee des Bummelns: Ein Flanieren von Geschäft zu Geschäft sollte den Konsum beleben und die Lebensqualität verbessern, die Autos mussten draußen bleiben, aus der Mall ebenso wie aus der City.
Dass das in Wien nicht restlos möglich sein würde, war Gruen wohl klar, und so propagierte er seinen City-Plan als „Umweltoase“. Denn Kärntner Straße und Graben waren damals Durchzugsstraßen, man stöhnte laut einem KURIER-Bericht 1971 unter 16.000 Autos täglich (zum Vergleich: die aktuelle Machbarkeitsstudie der Stadt Wien zählt 52.790 City-Einfahrten pro Werktag).
„Die Stadt zurückgeben“
Gruen wollte „den Wienern ihre Stadt zurückgeben“ und den Oberflächenverkehr auf das Nötigste reduzieren. Nur 800 Fahrzeuge pro Tag, so das Konzept, sollten die Innenstadt-Idylle stören dürfen.
In der Stadtverwaltung biss er sich dabei mitunter die Zähne aus. Wie er in seiner erst 2014 veröffentlichten Autobiografie schrieb, habe ihm ein leitender Magistratsbeamter gesagt: „Wir wissen, Herr Architekt, dass das, was Sie vorgeschlagen haben, in seiner Ganzheit notwendig sein wird, aber wir fürchten uns davor, die Wähler zu erschrecken, und gehen daher nach der Salamitaktik vor.“
Mit einigen Scheiben setzte sich Gruen allerdings durch – die Fußgängerzone in den zentralen Einkaufsstraßen trägt seine Handschrift, aber auch die City-Busse und die Unterführungen unter dem Ring waren seine Idee.
Unrealisiert blieb dagegen der Plan, die Zulieferung zu den Geschäften der City in einem „Transportpool“ zu bündeln, außerhalb des Rings dafür Warendepots anzulegen und die (zum Zeitpunkt der Konzepterstellung im Bau befindliche) U-Bahn während der Nachtstunden für Logistikzwecke zu nutzen. Kameraerfassungen und digitale Einfahrtskontrollen, wie sie nun geplant sind, hatten noch keinen Platz in Gruens Überlegungen: Der Architekt starb 1980.
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