Wie Wiener Händler gegen die autofreie Innenstadt aufbegehren
Nicht nur Rainer Trefelik, Handelsobmann in der Wirtschaftskammer, wettert gegen die Verkehrsberuhigung im 1. Bezirk. Unternehmer haben Angst, dass die Kunden künftig ausbleiben.
Die Touristengruppen sind im 1. Bezirk leicht auszumachen, auf den zentralen Plätzen und in den Einkaufsstraßen recken ihre Tourguides bunte Fähnchen in die Höhe. Im Kontrast dazu wirken die Nebenstraßen in der Inneren Stadt fast ein bisschen verschlafen. Für Unruhe sorgen kurzzeitig nur zwei Laster, die Waren ausladen. Bis das erledigt ist, steht erst mal der ganze Verkehr.
Und der Verkehr – besser gesagt: der Plan zur Verkehrsberuhigung, den die Stadt und der Bezirk wälzen – ist es auch, der hier im Bezirk unter vielen Unternehmern seit Kurzem erneut für Kritik sorgt.
Auslöser war ein Interview mit Rainer Trefelik, Handelsobmann der Österreichischen Wirtschaftskammer und selbst Inhaber eines Modegeschäfts in der City. Er vermisse ein "ordentlich durchdachtes Konzept", so Trefelik im Gespräch mit der Presse. Und: "Damit bringt man die Handelslandschaft um." Trefeliks Parteikollege, Bezirksvorsteher Markus Figl (ÖVP), reagierte verschnupft. Er stand bei der Präsentation des Konzepts zur Verkehrsberuhigung gemeinsam mit der Stadtregierung in der vordersten Reihe.
Zur Erinnerung: Im Oktober präsentierte man nach jahrelangen Debatten das finale Konzept (siehe unten). Künftig sollen fast nur noch Anrainer ohne Beschränkung in die City einfahren dürfen. Bezirksfremde müssen in eine Garage fahren. Tun sie das innerhalb von 30 Minuten nicht, machen sie sich strafbar.
Angst vor Massentourismus
Wie aber ist die Stimmungslage bei jenen Händlern, die Trefelik in der Wirtschaftskammer vertritt? Viele von ihnen können, das zeigt ein KURIER-Lokalaugenschein, seinen kritischen Worten durchaus etwas abgewinnen.
Bei Susanna Petkov etwa lösen die Pläne vor allem Ärger aus. Ihre Familie betreibt seit 1960 ein Modegeschäft in der Wollzeile. "Wer fährt bitte nur eine halbe Stunde in die Stadt? Das haben sich Leute ausgedacht, die selber nicht im Geschäft stehen." Sie habe viele ältere und mobil eingeschränkte Kunden, wieder andere kommen aus dem Umland. Mehr Tiefgaragen, wie sie der Bezirk andenkt, seien auch keine Lösung: "Da müsste man alles aufreißen." Mit dem Wegfall der angestammten Kunden, fürchtet Petkov, würde die Wollzeile ihr diverses Angebot verlieren. "So holt man sich den Massentourismus und nimmt der Stadt ihre Individualität."
Ganz ähnliche Sorgen äußern Händler, die sich beim KURIER gemeldet haben. Unter ihnen ist die bekannte Manufaktur Lobmeyr mit Sitz in der Kärntner Straße. "Die Geschäfte tragen wesentlich zum Flair und Lebensgefühl bei. Aber wir brauchen Luft, um zu leben, wenn wir nicht zu Tourismusattraktionen verkommen wollen", warnt Gesellschafter Andreas Rath.
Im Rahmen der Verkehrsberuhigung werden von 34 Ein- und Zufahrten nur 26 übrig bleiben. Dabei gilt: Wer mit dem Pkw in den Bezirk fährt, muss ehestmöglich in eine Garage – sonst zahlt man Strafe. Überwacht werden soll jeder Pkw mittels Videokameras.
Neben Anrainern sind öffentliche Dienste wie die Müllabfuhr, Einsatzfahrzeuge und Taxis von der Regelung ausgenommen.
30 Prozent weniger Verkehr soll es in der Innenstadt geben. Von den rund 52.800 Kfz-Einfahrten pro Tag soll 15.700 wegfallen. Ein Viertel der Parkplätze soll frei werden.
Statt über Verbote und Überwachung zu diskutieren, fordert er einen Ausbau der City-Busse. "Die Kosten würden wesentlich geringer ausfallen, als jene für das geplante Überwachungssystem."
"Es wird die Familienbetriebe treffen"
Vor einem "Konzern- und Souvenir-Disneyland" warnt man auch im Schreibwarengeschäft "Huber & Lerner" in der Weihburggasse. "Es wird wieder die kleinen Familienbetriebe treffen. Viele sind sehr aufgebracht. Zahlreiche Kunden kommen aus Randbezirken, dem Umland oder den Bundesländern – und sind eben genau das Publikum mit der entsprechenden Kaufkraft", sagt Geschäftsführerin Pia Huber-Pock.
Auch Isik Abaiev, Inhaber des Schuhgeschäftes Robertino in der Wollzeile, kann der 30-Minuten-Regelung nichts abgewinnen: "Die Leute sind locker eine Stunde bei mir. Die Hälfte kommt öffentlich, die andere mit dem Auto. In einer Parkgarage würden sie ein Vermögen zahlen."
Um einiges positiver als die meisten sieht man die Zukunft im 75 Jahre alten Modegeschäft "Flamm"‘ am Neuen Markt, wo die Fiaker auf und ab fahren. "Ich verstehe die Sorge, aber die Leute malen es sich schlimmer aus, als es sein wird", sagt Geschäftsführerin Johanna Ertl.
Mit der jüngsten Umgestaltung des Neuen Markts hat Ertl eine Tiefgarage direkt vor der Tür, die ihr natürlich zugutekäme. Es gebe aber ohnehin "gefühlt eine Tiefgarage neben der anderen" im 1. Bezirk. "Ich sehe in der Innenstadt kein großes Verkehrschaos und bin nicht sicher, ob die Verkehrsberuhigung wirklich nötig ist."
Ministerin zögert weiter
Wie es weitergeht, ist trotz fertigen Konzeptes immer noch nicht klar. Wie berichtet, wäre für die Installation der Kameras, die die Pkw bei der Ein- und Ausfahrt überwachen sollen, eine Novelle der StVO vonnöten. Die zuständige Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat eine solche bisher stets verwehrt, kritisiert die Stadtregierung.
Daran dürfte sich so rasch auch nichts ändern: Es gebe "keinen parlamentarischen Fahrplan" für die Umsetzung, heißt es im Verkehrsministerium auf KURIER-Anfrage. Dass ein Datenschutzgutachten im Auftrag von Städtebund und Ministerium eigentlich längst grünes Licht gegeben hat, kommentiert man zurückhaltend: Man "zieht die Ergebnisse für eine Novelle in Betracht".
Und was ist mit der Bundes-ÖVP? Man warte ebenfalls auf das grüne Verkehrsministerium, sagt der türkise Verkehrssprecher Andreas Ottenschläger. "So komplex ist die Geschichte nicht. Gibt es einen Entwurf, stimmt der Nationalrat ab."
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