Wer kriminelle Karrieren macht – und wie man sie verhindern kann

Forscher aus Wien haben vergangene Straftaten ausgewertet – so sollen künftige verhindert werden 
Wiener Forscher haben ein Verfahren entwickelt, um Muster in kriminellen Laufbahnen zu erkennen. Die Ergebnisse sollen Ermittlern helfen – und Täter vor Rückfällen bewahren.

Fünf Jugendliche bzw. junge Männer wurden in der Vorwoche in der Wiener Leopoldstadt von der Polizei festgenommen, weil sie eine Mietwohnung offenbar in einen Drogenumschlagplatz verwandelt hatten. Vier der mutmaßlichen Suchtgifthändler sind nach der Einvernahme bereits wieder auf freiem Fuß. Der Wohnungsmieter musste zumindest vorübergehend ins Gefängnis.

Alle fünf Verdächtigen im Alter von 16 bis 26 Jahren wurden zudem angezeigt. Ob deren „kriminelle Energie“ damit dauerhaft gebannt ist, bleibt abzuwarten. Eine neue Studie von Datenforschern des Complexity Science Hub (CSH) in Wien liefert nämlich Hinweise, dass der eine oder andere der mutmaßlichen Jungdealer – ohne sinnvolle Präventionsmaßnahmen – dauerhaft auf die schiefe Bahn geraten könnte.

Unabhängig von dem aktuellen Fall haben die Wissenschafter mit Behördenunterstützung 1,2 Millionen Straftaten analysiert, um so frühzeitig Muster in kriminellen Laufbahnen zu erkennen. Die Zahl dürfte nicht zufällig gewählt worden sein, handelt es sich doch um die „Anzahl aller Delikte in einem Sechsjahreszeitraum in einem kleinen mitteleuropäischen Land“, wie Studienautor und CSH-Präsident Stefan Thurner festhält. Vereinfacht gesagt: die anonymisierten Ergebnisse lassen sich gut auf ein Land wie Österreich umlegen.

Hohe Rückfallquote

Was die Wiener Forscher dabei herausgefunden haben, dürfte in der Kriminalforschung in diesem Umfang einzigartig sein. So zeigt sich nicht nur, dass ein Viertel der untersuchten Täter rückfällig wird, sondern auch, dass es nicht unüblich ist, wenn Verbrecher ihr „Tätigkeitsfeld“ im Laufe ihrer „Karriere“ ausdehnen. Bei den erwähnten Drogendealern zum Beispiel ist der Studie zufolge künftig das Risiko für andere Formen der Straßen- und Wirtschaftskriminalität besonders hoch.

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„Mit unserem Clustering-Verfahren können wir darstellen, wo sich kriminelle Netzwerke überschneiden und welche Delikte häufig mit anderen einhergehen. Für die Ermittler ergibt sich daraus ein besseres Bild, wo, wann, was passieren wird“, ordnet Forscher Thurner die Ergebnisse ein.

Wer kriminelle Karrieren macht – und wie man sie verhindern kann

„Für die Ermittler ergibt sich aus unserer Forschung ein besseres Bild, wo, wann, was passieren wird“,  sagt Stefan Thurner vom Complexity Science Hub

Konkret haben der CSH-Leiter und sein Team rund 600.000 Straftäter nach 21 Delikten unterteilt. Bereits hier ergaben sich Überschneidungen. Ergänzt wurden diese Daten unter anderem um das Alter, Geschlecht, die Schwere der Straftat oder auch die Region, in der sie verübt wurde. Am Ende, so Thurner, konnte man klare Muster erkennen.

Der Hauptfund: Es gibt Spezialisten und Generalisten, die sich in der Herangehensweise unterscheiden. Personen, die sich auf einen Verbrechensbereich spezialisieren, sind demnach tendenziell älter als 30 Jahre und häufiger weiblich. Mehr als ein Viertel aller Frauen in dem Datensatz sind Spezialistinnen, während kriminelle Männer offenbar zu unterschiedlichen Delikten neigen.

Verbrecher mit einem „Spezialgebiet“ würden zudem in einem geografisch engeren Raum operieren. „Hochspezialisierte Kriminelle können es sich offenbar leisten, länger an einem Ort aktiv zu sein. Wir sehen, dass sie in ein enges Netzwerk eingebettet sind und andere für sich arbeiten lassen“, erklärt der Datenforscher.

Prognose und Prävention

Für die Praxis kann dieses Wissen laut Thurner verschieden eingesetzt werden: Bei Einbrüchen könne man so etwa nachvollziehen, welche Gruppen im Hintergrund agieren. Sobald gewisse Akteure ihren Standort wechseln, lasse sich berechnen, wann und wie viele Komplizen nachfolgen. Auch dürften einige kriminelle Netzwerke schlichtweg zerbröckeln, sofern es die Ermittler schaffen, die Spezialisten zur Verantwortung zu ziehen.

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Doch selbst wenn das nicht immer gelingt, könnte die Studie einen Beitrag zur Resozialisierung von Straftätern leisten. „Wenn wir wissen, welcher Personentyp tendenziell wann und in welcher Form wieder rückfällig wird, kann in der Bewährungshilfe darauf Rücksicht genommen werden“, hofft Thurner, dass die Ergebnisse auch dahingehend eingesetzt werden.

Obwohl die Studienautoren betonen, dass ihre Resultate nicht die gesamte Wirklichkeit widerspiegeln, da nur gelöste Verbrechen untersucht wurden, dürfte das Interesse von Strafverfolgungsbehörden groß sein. Laut CSH haben bereits mehrere Institutionen angefragt.

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