Von Huss’ Vorstoß ausgehend fehlte es in den vergangenen Tagen nicht an Vorschlägen, wie man das aus dem Ruder geratene System reformieren könnte: Während die Ärztekammer wieder einmal mehr Geld für die Kassenärzte fordert, kann sich die oö. LH-Stellvertreterin Christine Haberlander (ÖVP) Pflichtdienste für Wahlärzte – etwa in der Drogentherapie oder bei Nachtdiensten – vorstellen.
Gerne wird dabei vergessen, wie es überhaupt zu diesem österreichischen Spezifikum des auswuchernden Wahlarzt-Systems kommen konnte. Wie so oft handelt es sich dabei um einen unglücklichen Kompromiss. Einen unglücklichen Kompromiss zwischen der Regulierungswut der heimischen Krankenkassen und Ärztevertreter und den wirtschaftsliberalen Grundsätzen der EU.
Die Misere habe im Vorfeld des EU-Beitritts 1995 begonnen, schildert der Wiener Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer. Für die EU war das rigide heimische System mit den vielen Pflicht-Krankenkassen, dem Gesamtvertrag zwischen Ärzten und Kassen sowie dem streng festgelegten Stellenplan nicht tragbar. „Damit war Feuer am Dach, hätten doch mit einer Reform Ärztekammer wie auch Kassen an Macht und Einfluss verloren“, schildert der Experte.
In Folge sei es dann aber gelungen, die EU davon zu überzeugen, dass man das System nicht ändern müsse. Schließlich gebe es ja die Wahlärzte, die sich ohne Kassenvertrag nach Belieben niederlassen dürfen und die Wahlfreiheit der Patienten garantieren würden.
„Damals spielten die Wahlärzte aber eine sehr untergeordnete Rolle. Sie beschränkten sich auf Leistungen, die nicht von den Kassen erstattet wurden“, sagt Pichlbauer. Um die EU-Vorgaben zu erfüllen, musste daher erst ein Markt für die Wahlärzte geschaffen werden.
Dies war aber nur auf Kosten der Kassenärzte möglich: Während mit der demographischen Entwicklung der Bedarf an kassenmedizinischer Versorgung in den folgenden Jahren stetig stieg, blieb die Zahl der Kassenstellen gleich.
Hinzu kommt: Immer mehr Mediziner werden von sich aus lieber Wahl- als Kassenarzt. „Nicht wegen der Bezahlung, die nur vermeintlich besser ist. Vielmehr geht es um die besseren Arbeitsbedingungen, vor allem das Mehr an Zeit, das sie ihren Patienten widmen können“, betont der Ökonom.
Doch was ist der Ausweg? Naheliegend wäre es, durch Beitragserhöhungen mehr Geld für die Kassenmedizin bereitzustellen. „Doch aufgrund der gesetzlichen Regelungen fließen 50 Prozent der Gelder in die Spitäler“, gibt Pichlbauer zu bedenken. Die Erhöhungen müssten also sehr hoch ausfallen, um wirksam zu sein.
Nicht infrage kommt für Pichlbauer die Verpflichtung von Wahlärzten zu bestimmten ärztlichen Tätigkeiten: „Das wäre eine Art moderne Sklaverei und widerspricht jeglichem EU-Recht.“
Er glaubt nicht, dass die aktuelle Debatte zu einer Reform führen wird. „Das Problem ist seit vielen Jahren bekannt. Ich selbst hab schon 2007 darüber geschrieben. Trotzdem ändert sich nichts. Auch die aktuelle Diskussion wird wieder einschlafen.“
Kommentare