Wer die Malaise der Wiener S-Bahn verstehen will, muss einen Blick auf ihre Geschichte werfen.
Ihr Vorläufer ist die Wiener Stadt- und Verbindungsbahn, die 1898 den Betrieb aufnahm. Aus ihr entwickelten sich die U-Bahn ebenso wie – ab dem Jahr 1962 – die S-Bahn.
Eine gemeinsame Kommunikation und Weiterentwicklung gab es aber viele Jahre nicht. Die U-Bahnen gehören zu den Wiener Linien und damit der Stadt
Wien – die S-Bahn wird von den ÖBB betrieben.
Marketing-Stiefkind
Die Stadt setzte in ihrem (zunehmend kultigen) Marketing daher ausschließlich auf die Bewerbung von U-Bahn, Straßenbahn und Bus.
So vertreiben die Wiener Linien heute unter anderem Badeschlapfen, Strumpfhosen im Design der alten U-Bahn-Sitzbezüge und sogar Wettex mit U-Bahn-Logo. Von alldem profitiert die S-Bahn nicht.
Auch der Name „S-Bahn“ selbst war übrigens lange nicht geläufig. Ursprünglich war der Ausdruck „
Schnellbahn“ üblich. die „S-Bahn“ tauchte erst ab dem Jahr 2005 offiziell in Lautsprecherdurchsagen und Aushängen auf.
Dass die S-Bahn (anders als in anderen, etwa deutschen Städten) keinen Eingang ins kollektive Gedächtnis der Wiener fand, hat aber noch einen weiteren Grund: Es mangelt an drei Erkennungsmerkmalen, über die höherrangige Öffis international meist verfügen.
Fast überall lassen sich – selbst für Touristen – Öffis über ihr Namenskürzel, über ihre klar ausgeschilderten Endstationen und über einen Farbcode eindeutig identifizieren.
Nicht so in Österreich: Viele Wiener tun sich bis heute schwer, zwischen den S-Bahn-Namen – S1, S2, S7, S45... – und ihren Endstationen einen sinnhaften Zusammenhang herzustellen.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass es sich bei den Endpunkten oft um nicht allzu bekannte niederösterreichische Orte – Wolfsthal, Laa an der Thaya, Hollabrunn... – handelt, die manch urbaner Wiener kaum auf der Landkarte fände.
Ungeübte Nutzer wissen also nicht einmal, in welche Himmelsrichtung sie fahren.
Späte Farbenspiele
Auch einen echten Farbcode gibt es für die S-Bahn nicht. Bis 2017 dauerte es, bis zumindest die zwei meistfrequentierten Strecken (Meidling-Floridsdorf sowie Handelskai-Hütteldorf) in den Plänen der Wiener Linien farblich gekennzeichnet wurden.
Sie sind seither – wer hätte es gewusst? – hellgrün und altrosa eingefärbt.
Der Realität wird das Bild vielfach nicht gerecht: In den vergangenen Jahren starteten die
ÖBB eine qualitative Aufholjagd. Die neuen Garnituren der S-Bahn sind moderner als manche U-Bahn.
Auch die Beförderungsleistung ist groß: Die S-Bahn ist der am stärksten genutzte Zug; von jährlich 250 Millionen Bahnkunden bundesweit sind 100 Millionen in oder durch Wien unterwegs.
Milliardenschweres Öffi-Paket
Nicht nur Pendler, auch immer mehr Wiener nutzen die S-Bahn innerstädtisch: Die Zahl der Einsteiger ist zwischen den Stationen Rennweg und Wien-Mitte seit 2010 – überdurchschnittlich stark – um 46 Prozent gestiegen. 70 Prozent der Fahrten bleiben innerhalb des Stadtgebiets.
Seit 2010 stieg auch die Zahl der Züge – auf 718. Und der Ausbau geht weiter: Unlängst brachte Bürgermeister Michael Ludwig mit Niederösterreich, Burgenland und den ÖBB ein milliardenschweres Öffi-Paket auf den Weg.
Davon profitieren die S-Bahnen überdurchschnittlich. Jetzt müssen nur noch die letzten Wiener ihre Schwellenangst ablegen.
Kommentare