Wahltag am 26. September: Weshalb Graz so früh wählt
„Give me five“, witzelt Siegfried Nagl nonchalant und meint, der Gag sei ihm eben eingefallen. Er kommt jedenfalls nicht von ungefähr: Nagl, mit einer Amtszeit von mehr als 18 Jahren längstdienender Bürgermeister von Graz, tritt am 26. September erneut als ÖVP-Spitzenkandidat an, und das zum fünften Mal seit 2003.
Die Kandidatur kommt nicht überraschend, wohl aber das Datum: Der 26. September ist dem Recht nach keine echte Vorverlegung, aber dennoch so früh wie möglich. Die Gemeinderatsperiode läuft noch weit bis in das kommende Jahr. Doch das Stadtstatut gibt dem Grazer Bürgermeister freie Hand, den Wahltermin eigenständig binnen einer Frist festzulegen. Die liegt zwischen 19. September 2021 und 10. April 2022.
Nagl schnappte das letzte Septemberwochenende und überrumpelte damit die anderen Parteien. Sogar seinen eigenen Partner, die FPÖ: Vize-Stadtchef Mario Eustacchio beschwerte sich erbost, dass er den Termin „aus den Medien“ erfahren musste. Stimmt, gibt Nagl offen zu, er habe seinen Vize am Montag eben nicht mehr telefonisch erreichen können.
Aber warum macht der 58-Jährige das? Er begründet es mit der Corona-Pandemie, die noch nicht ausgestanden sei; er wolle „Wahlen ohne Einschränkungen“ ermöglichen. Zudem mit wirtschaftlicher Notwendigkeit, um etwa rasch ein Budget auf die Beine zu stellen.
Die Vertreter der anderen Fraktionen ätzen dagegen über Kalkül des bei Wahlen erfolgsgewohnten Stadtchefs: Er wolle so rasch wie möglich wählen lassen, um etwa sein jüngstes Lieblingsprojekt, den Bau einer U-Bahn, durchsetzen zu können. Und um nicht in das Fahrwasser der Bundespolitik zu geraten und gar Oberwasser zu verlieren.
Graz, das kleine Kuba
Das Argument U-Bahn, in Graz Metro genannt, ist nachvollziehbar – flott nach dem Wahltag umgesetzte Bauprojekte kennt man schon: Direkt am Tag nach den für die ÖVP gut gelaufenen Wahlen am 5. Februar 2017 begannen die Bauarbeiten zum umstrittenen Murkraftwerk im Süden der Stadt.
Der Verweis auf die Bundespolitik scheint mit Blick auf die launische Grazer Wählerschaft dagegen zu weit hergeholt: Die Ergebnisse bei Wahlen in Graz sind so speziell, dass sie sich nicht einordnen lassen und sogar bei Landtagswahlen für Buntheit sorgen. Das liegt an der für österreichische Verhältnisse seltsamen Parteienkonstellation: Wer wissen will, wo außerhalb Kubas Kommunisten noch reüssieren können, muss nach Graz schauen - dort sind sie seit 2012 zweitstärkste Fraktion im Gemeinderat. Sogar im Landtag ist die KPÖ in Klubstärke vertreten.
Das gibt es außerhalb der Steiermark nirgends ins Österreich. Nicht-Grazer staunen über dieses anachronistisch anmutende Phänomen, doch das ist relativ leicht erklärt: Die steirische KPÖ in Graz zunächst unter Ernest Kaltenegger, nun unter Elke Kahr ist weitgehend ideologiebefreit unterwegs. Ihre Funktionäre verzichten öffentlichkeitswirksam auf den Großteil ihrer Politikergage, setzen auf wenige Themen (Wohnbau, Soziales) und saugen Proteststimmen ein. Die kommen auch aus dem Bereich bürgerlicher Wähler, die mit FPÖ oder Grünen nichts anfangen können. Die in Graz schwachen Sozialdemokraten - Stadtparteiobmann Michael Ehmann verlor 2017 den Stadtratssitz der SPÖ - haben sie längst abgehängt und sich als Realsozialisten etabliert.
Und wer wird Vize?
Der Überraschungscoup ist der ÖVP jedenfalls gelungen, Nagl hat das Rennen um Aufmerksamkeit gewonnen und mit 16. August auch schon den nötigen Parteitag fixiert. Die anderen Parteien hinken zwangsläufig hinterher, bis auf die Grünen, die mit Judith Schwentner ihre Spitzenkandidatin bereits offiziell festgelegt haben.
Bisher kolportierte Umfragen sehen auf den ersten Plätzen in Gemeinderat und Regierung wenig Änderung: ÖVP vorne, gefolgt von der KPÖ, zwischen FPÖ und Grünen wird ein hartes Match um den dritten Platz erwartet. Nagl spekuliert mit der Favoritenrolle und damit, nach dem 26. September unter mehreren Partnern wählen zu können. Er braucht eine Mehrheit für die Kür im Gemeinderat (auch wenn in Graz das Proporzsystem gilt und alle Parteien ab einer gewissen Stärke im Stadtsenat sitzen). Wählerisch war er bei seinen Vize nie: Rot, grün, blau, kommunistisch - alles da gewesen.
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