Die Gründe für das vorläufige Aus? "Wir haben immer darauf geachtet, uns in keine Abhängigkeiten zu begeben und uns frei von politischen oder kommerziellen Interessen zu halten“, wie Initiator Konrad Becker von Institut für neue Kulturtechnologien schildert. Als unabhängiger Verein sei die Finanzierung des Projekts zunehmend schwieriger geworden.
Aufgrund der notwendigen Neutralität verwehre man sich "politischer Anbiederung".
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Weil man Nutzerinnen und Nutzern absoluten Datenschutz gewährleiste, sei auch die Weitergabe oder gar der Verkauf von Nutzerdaten ausgeschlossen. Eine neue Trägerorganisation zu finden, um wahlkabine.at mit der dafür nötigen Qualität und politischen Unabhängigkeit weiterzuführen, sei nicht gelungen.
Interventionsversuche
Dass Parteien auf 25 Fragen klar Position beziehen müssen, habe für das eine oder andere Überraschungsmoment gesorgt. "Sich kritische Fragen stellen zu lassen, vor allem in Zeiten von Wahlen, hat den Parteien nie gefallen. Das hat sich in der Förderpolitik niedergeschlagen", meint Becker.
Es habe immer wieder Interventionsversuche gegeben, darunter den abendlichen Anruf eines Spitzenpolitikers, der forderte: "Des drahts oh."
Um wahlkabine.at bei den Nationalratswahlen 2024 anbieten zu können, müsste man mit der Vorbereitung "de facto jetzt" beginnen. Dass die Realisierung nicht möglich sein wird, "ist ein enormer Verlust für die Demokratielandschaft." Benötigt habe man in der Vergangenheit rund 15.000 Euro, die vor allem in Technik und redaktionelle Arbeit flossen.
Überprüft wurden die Parteiantworten bei allen Ausgaben von einem Redaktionsteam aus Politikwissenschaftlern und unabhängigen Journalistinnen und Journalisten. 2017 unterzog man die Webseite einem Relaunch und optimierte sie für mobile Geräte. Das sowie thematische Schwerpunkte zielten vor allem auf Jung- und Erstwähler ab, bereitgestellt wurde auch Unterrichtsmaterial für Schulen.
Zur EU-Wahl 2019 gab es eine Crowdfunding-Kampagne, die unter anderem von Datenschützer Max Schrems und Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek unterstützt wurde. Eine Dauerlösung sei Crowdfunding aber nicht, da so der Arbeitsaufwand weiter erhöht und die Finanzierungsgrundlage noch prekärer werde.
Hohe Reichweite
Die Reichweite kann sich angesichts des knappen Budgets jedenfalls sehen lassen: Bei den Wiener Landtagswahlen 2020 nutzten rund 220.000 Menschen die Orientierungshilfe, bei der Nationalratswahl 2019 waren es fast eine Million.
Europaweit zähle man zu den erfolgreichsten Orientierungshilfen und wurde 2008 im EU-Parlament als Best-Practice-Beispiel der politischen Bildung präsentiert.
"Viele haben versucht, wahlkabine.at nachzuahmen. Die Versuche haben sich aber meist schnell von selbst erübrigt", erinnert sich Becker. Dass die Online-Wahlkabine eines Tages zurückkehrt, ist für ihn "absolut nicht ausgeschlossen." Wann und wie ist jedoch völlig offen.
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