Eltern, die ihren Kindern etwas Gutes tun wollen, sollten ihnen vorlesen – und das nicht nur am heutigen Vorlesetag wie Werner Brunner sagt, der den Tag mitbegründet hat: „Kinder, denen vorgelesen wird, lesen schneller selbstständig. Zudem festigt es die Bindung zwischen dem- oder derjenigen, die vorliest, und dem Kind, weil man gemeinsam etwas erlebt.“
Mit dem Kind sprechen, gemeinsam Bilderbücher anschauen oder den Tag Revue passieren lassen: Wer das möglichst früh mit seinem Kind macht, schafft die Voraussetzungen, dass das Kind später gut und auch gerne liest, und es nicht zu den Jugendlichen gehört, die die Schule verlassen, ohne sinnerfassend lesen zu können. Mehr Tipps von Linguisten für Eltern finden Sie hier.
Immerhin ist das jeder vierte junge Mensch. Im internationalen Vergleich ist das zwar nichts Außergewöhnliches, doch für die Betroffenen ein Drama: Konkret heißt das nämlich, dass diese Jugendlichen zwar oft Sätze fließend lesen können, sie aber nicht verstehen, was sie da lesen – zum einen, weil ihnen der Wortschatz fehlt, zum anderen, weil sie von einem komplexeren Satzbau überfordert sind.
Die Folgen für die Betroffenen sind enorm: Ihre Möglichkeiten, lebenslang zu lernen, sind ebenso minimal wie ihre Optionen, am gesellschaftlichen Leben optimal teilzunehmen.
Sprachen lernen beginnt mit der Geburt
Wer eine Lösung sucht, muss weit vor Schulbeginn anfangen, wie Linguist Wolfgang Dressler (Uni Wien) betont: „Sprache lernen beginnt mit der Geburt. Es ist wichtig, dass das Kind von der ersten Stunde an Worte hört – in der Regel von der Mutter.“
Wie viel mit einem Baby und Kleinkind gesprochen wird, ist stark von der sozialen Schicht abhängig, in die ein Kind hineingeboren wird. Wer den Nachwuchs dann auch noch häufig vor den Bildschirm setzt, verlangsamt zusätzlich dessen Spracherwerb, wie auch eine aktuelle australische Studie zeigt. Linguisten der Uni Wien, die über Monate beobachtet haben, wie Mütter mit ihren Kindern interagieren, bestätigen das. Wolfgang Dressler erinnert sich an den dramatischsten Fall: „Eine Mutter lebte mit ihrem Kind in einer winzigen Wohnung, in der es zwei Räume gab – in jedem Zimmer stand ein Fernseher, der den ganzen Tag lief. Die Mutter saß in einem Raum, das Kind im anderen, beide haben kaum miteinander gesprochen.“
Was helfen würde
Der Linguist will Eltern deshalb möglichst früh aufklären, wie wichtig es ist, von Geburt an viel mit den Kindern zu reden: „Eine billige Methode wäre, dass man im Eltern-Kind-Pass verankert, dass sie sich einen halbstündigen Vortrag anhören müssen, wie sie mit ihren Babys und Kleinkindern kommunizieren sollen.“
Dass das nicht sofort flächendeckend möglich ist, ist Dressler klar: „Unser Team an Sprachwissenschaftern könnte in Wien damit beginnen – auch mit Vorträgen auf Türkisch oder Kroatisch. Für andere Sprachen könnten wir Linguisten ausbilden.“ Eine zweite effiziente Maßnahme wäre es, wenn „Kindergartenpädagoginnen eine einstündige Instruktion bekommen, wie sie den Spracherwerb unterstützen können.“
Dabei gehe es nicht nur darum, den Wortschatz der Kinder zu erweitern und ihnen zu vermitteln, wie Wörter miteinander verwandt sind: „Auch die Komplexität der Sprache ist entscheidend, also dass sie lernen, Nebensätze zu bilden und längere Wörter zu bilden – etwa den berühmten Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitän“, erläutert Dressler.
Kinderreime und -lieder fördern die Sprache
Viel mit den Kindern sprechen, ihnen Geschichten erzählen und früh vorlesen – das ist nicht nur für Sprachentwicklung wichtig, sondern beeinflusst die allgemeine kognitive Entwicklung. Oder weniger wissenschaftlich ausgedrückt: Wer viel mit seinen Kindern redet, mit ihnen Reime aufsagt, Kinderlieder singt und ihnen vorliest, sorgt dafür, dass die Kinder generell „klüger“ werden.
Dabei gilt: Eltern sprechen am besten immer in ihrer Muttersprache mit dem Nachwuchs. „Wo möglich, sollten Kinder in mehrsprachigen Familien früh beginnen, eine Zweit- oder Drittsprache zu lernen. Das können Kinder in der Regel mühelos. Wichtig ist dabei nur, dass eine Person immer mit dem Kind in derselben Sprache spricht“, sagt Dressler. Heißt: Ist die Mutter Kroatin, der Vater Österreicher, sollte die Mutter nur kroatisch, der Vater nur deutsch reden und sich darum bemühen, die Sprache des anderen zumindest zu verstehen, sodass ein familiäres Gespräch zustande kommen kann.
Wie gut ein Kind die Sprache – und somit später auch das Lesen – lernt, hängt übrigens kaum davon ab, welche Erstsprache es lernt. „Die Benachteiligung durch die soziale Schicht ist hier viel entscheidender. „Das hat uns bei unserer Studie dann doch sehr erstaunt“, sagt Dressler.
Gemeinsam Videos schauen
Übrigens: Den Bildschirm völlig verteufeln, will der Linguist nicht: „Wenn sich Eltern und Kinder gezielt wertvolle Sendungen anschauen und dann über das Gesprochene reden, kann das durchaus sinnvoll sein.“ Wird das Gesehene nicht besprochen, ist der Medienkonsum eher schädlich.
Weitere wissenschaftlich fundierte Tipps, die er für junge Eltern hat: „Erwachsene sollten möglichst nicht direkt befehlen.“ Beispiel: Statt zu sagen: „Mach die Tür zu“, sollten Mütter lieber fragen: „Kannst du die Tür zu machen?“ Wenn Kinder etwas falsch sagen, sollte man sie nie direkt korrigieren, sondern das Gesagte korrekt wiederholen und dabei komplexere Sätze verwenden, damit das Kind bald mit anspruchsvolleren Sätzen vertraut wird. Und ganz wichtig: Vorlesen.
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