Verhärtete Fronten: Der Almkrieg um Wolf und Schaf
Zwei Mutterschafe liegen seelenruhig mit ihren Lämmern auf einer umzäunten Wiese. Walter Kofler hat sie auf den Niederleger (1.800 Meter) der Foissa-Regenfeldalm in der Tiroler Kelchsau gebracht, weil eines der Jungen lahmt. „Der Adler hat es schon im Visier gehabt“, erklärt der 58-jährige Landwirt.
Die übrigen Tiere der Herde streifen einige hundert Höhenmeter weiter oben durch hochalpines Gelände. Das Gebiet der Alm zieht sich bis zu felsigen Berggraten hinauf.
Tiertod auf der Alme
Jeden Sommer sterben zwei bis drei Schafe durch Blitze und Abstürze. Der Adler holt sich fünf bis sechs Tiere, erzählt Patricia Kofler. Mit ihrem Vater kümmert sich die 27-Jährige um die Tiere ihrer gemeinsamen Schafzucht.
Kommt die Sprache auf den Wolf und mögliche Risse, wird sie schnell emotional: „Ich glaube, ich würde tränenüberströmt neben den Kadavern sitzen und im ersten Moment nicht wissen, wie es weitergeht.“
Immer wieder sind in den vergangenen Jahre Wölfe und auch Bären durch Tirol gezogen. Fielen ihnen Nutztiere zur Beute, waren es in der Regel Schafe auf Almen. So auch im Juli im Gebiet rund um das Sellrain, wo nun ein mutmaßlicher Wolf von einem Unbekannten geschossen und enthauptet wurde.
Ob das Raubtier vor oder nach der Ablehnung eines Abschussantrags am vergangenen Freitag getötet wurde, steht noch nicht fest.
In den vergangenen Wochen wurden die Töne von Seiten der Gegner der großen Beutegreifer immer rauer. „Wölfe und Bären gehören in Tirol in den Alpenzoo oder andere geschützte Gehege“, meinte etwa Josef Hackl, Obmann der Sparte Tourismus in der Wirtschaftskammer.
Im Innsbrucker Alpenzoo gehören diese Tiere zu den großen Stars. „Wolf und Bär sind Raubtiere. Sie sind aber auch Sympathieträger“, sagt Tierkurator Dirk Ulrich. Dass sie nur in Gehegen gehalten werden sollten, diese Meinung teilt der Biologe nicht: „Die Tiere bei uns sind Botschafter, um zu zeigen, wie es draußen in der Natur aussieht. Und zur Natur gehören auch Beutegreifer.“
Wolf und Bär im Zoo als Botschafter
Für Patricia Kofler, die auch Obfrau der Tiroler Jung-Schafzüchter ist, gilt das nicht. „Wenn der Wolf kommt, treiben wir nicht mehr auf. Und das soll Tierschutz sein, wenn wir die Schafe das ganze Jahr über im Stall halten?“, fragt sie in Anspielung auf den strengen Schutz der großen Beutegreifer.
Das Argument, dass Schafe auch für die Fleischproduktion gezüchtet werden, lässt sie nicht gelten. „Der Wolf reißt lebendigen Tieren die Beine aus und die Bäuche auf. Das hat mit einer richtlinienkonformen Schlachtung bei uns nichts zu tun“, sagt sie.
Der Zuchtfaktor
Für Schafzüchter würde es zudem nicht nur rein um materielle Schäden gehen. „Der emotionale Wert ist mit keinem Geld der Welt aufzuheben“, erklärt Kofler. In den Zuchtlinien würde die Arbeit von Generationen stecken.
Die Nutztiere mit Zäunen zu schützen, sei auf vielen Almen nicht möglich. „Unter ein paar Zentimetern Humusschicht, wo das Gras wächst, ist nur noch Geröll und Gestein. Da hält ein Zaun gar nicht“, sagt sie mit Verweis auf das Terrain, auf dem ihre eigenen Schafe weiden.
"Der emotionale Wert dieser Tiere ist niemals aufzuheben"
Hat der Wolf in Tirol mit seiner Almwirtschaft und dem ausgeprägten Bergtourismus überhaupt Platz? „Nein. Das hat er nicht“, sagt Dirk Ulrich. „Deswegen wird er sich auch ziemlich sicher hier nicht niederlassen“, beruhigt der Biologe. Tatsächlich waren Wolf und Bär bislang nur auf Stippvisiten in Tirol. Auch die Zahl der Risse von Nutztieren hält sich in Grenzen. Der Hitze der Debatte tut das aber keinen Abbruch.
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