Ein dramatisches Wochenende in Österreichs Bergen endete für sieben Skifahrer im freien Gelände tödlich. Pauschalurteile über verunglückte Sportler führen auf dünnes Eis.
Die Warnungen vor dem vergangenen Wochenende waren eindringlich. Dennoch starben sieben Wintersportler bei Lawinenwarnstufe 4 – der zweithöchsten – unter Schneemassen. Wie immer nach einer derartigen Häufung tödlicher Unfälle tauchen Fragen auf: Wie kann so etwas passieren? Und wieso gehen Sportler so ein Risiko ein? Die Antworten von Experten fallen differenziert aus.
Wenn die Gefahr derart groß ist, müssten die Berge für Sportler dann nicht gesperrt werden?
Peter Paal, Präsident des Kuratoriums für Alpine Sicherheit, hält davon nichts: „Wir leben in einer liberalen, aufgeklärten Gesellschaft, in der Individuen selber entscheiden wollen, was für sie richtig ist.“ Das funktioniere auch besser, als es nach solchen tragischen Ereignissen erscheint. „Die Zahl der Menschen, die im freien Gelände unterwegs sind, hat sich vervielfacht, die Zahl der Lawinentoten ist relativ konstant geblieben“, so Paal. Im Zehnjahresmittel sterben 19 Personen pro Wintersaison bei Lawinenabgängen.
15 bis höchstens 20 Minuten: So kurz ist die Zeitspanne, in der völlig verschüttete Opfer gefunden werden müssen. Das geht aus Statistiken des Instituts für Notfallmedizin in Bozen hervor. Wer in der Frist geborgen wird – und nicht vor Stillstand der Lawine tödlich verletzt wurde – hat eine Chance von 91 Prozent, zu überleben. Dann der „tödliche Knick“. Nach 30 Minuten sind 70 Prozent der Opfer tot, nach einer Stunde 97 Prozent.
Wie kann es Tote bei einer Tour mit einem professionellen Führer gibt?
Bei einem der Unfälle am Wochenende war genau das der Fall. In St. Anton am Arlberg starben ein 29-jähriger Skiführer und einer seiner beiden Gäste, ein 33-jähriger Österreicher, bei einer Variantenabfahrt unter einem Schneebrett. Ohne auf den konkreten Einzelfall einzugehen, warnt Paal vor schnellen Urteilen. „Bei Führern handelt es sich um sehr erfahrene Menschen, die vergleichsweise viel wissen. Aber hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Wir wissen auch noch nicht alles über den Schneedeckenaufbau.“
„Es trifft die jungen Wilden, aber auch die alten Erfahrenen“, weiß Paal. Das zeigen auch Zahlen, die das Kuratorium für Alpine Sicherheit für den KURIER ausgehoben hat. Im Zehnjahresmittel sterben pro Wintersaison 19 Menschen unter Lawinen – jeder zweite ist Österreicher. Aus der Gruppe der Bis-30-Jährigen kommt im Schnitt etwa ein Viertel der Opfer (5), die meisten Todesopfer sind im Mittel zwischen 31 und 50 Jahre alt (8).
Peter Höller, Gerichtssachverständiger bei Lawinenunfällen warnt deshalb: „Auch wenn ich eine Tour zwanzig Mal gegangen bin – vielleicht aber immer nur bei Lawinenwarnstufe eins oder zwei –, und ich den Hang kenne wie meine Westentasche, muss ich trotzdem jedes Mal neu überlegen, ob das am heutigen Tag die ideale Tour ist. Denn der Hang selber verändert sich nicht, die Neigung ist immer die gleiche. Aber das Wetter und die Schneedecke sind immer unterschiedlich.“
Wer eine Fahrt im freien Gelände plant, sollte immer sein LVS-Gerät gut aufgeladen unter der Jacke anbringen und Sonde und Schaufel mittransportieren. Ein Rucksack mit Airbag vermindert das Risiko, verschüttet zu werden. Bei Verschütteten kann eine Art Lawinen-Schnorchel („Avalung“) die Überlebenschancen erhöhen. Die Meinungen darüber gehen aber auseinander. Wird man Zeuge einer Lawine, kann man den Notruf unter 140 (Bergrettung) oder 112 (Euronotruf) absetzen. Ist man alleine, sollte man sofort mit der Suche beginnen. Jede Minute könnte entscheidend sein.
Nehmen Männer im freien Gelände mehr Risiko als Frauen?
Hier sind die Zahlen eindeutig. Im Schnitt kommen pro Saison 17 Männer und nur zwei Frauen durch Lawinen um. „Das lässt sich auch nicht damit erklären, dass mehr Männer unterwegs sind. Bei Alpinvereinen liegt der Frauenanteil bei 30 Prozent und mehr“, weiß Paal. Männer sind offenkundig risikobereiter und bezahlen das mitunter mit dem Leben.
Geht mit dem Lawinenrisiko auch die Zahl der Toten nach oben?
Die Unfälle am Wochenende haben sich bei Stufe 4 („große Gefahr“) der fünfteiligen Warnskala ereignet. Aber das trifft im Schnitt nur auf sieben Prozent der Fälle zu. Für Paal ein Indiz dafür, dass die Wintersportler bei so hohem Risiko durchaus ihr Verhalten anpassen – und eher daheimbleiben. Am häufigsten sterben Menschen paradoxerweise bei der niedrigeren Warnstufe 3. Sie vermittelt trügerische Sicherheit. 54 Prozent der Todesopfer sind bei diesem Level zu beklagen.
Wer eine Lawine auslöst und damit andere Menschen gefährdet oder gar ihren Tod verursacht, muss mit einem Gerichtsverfahren rechnen. Ist Letzteres der Fall, sind Anklagen wegen fahrlässiger Körperverletzung oder der fahrlässigen und grob fahrlässigen Tötung möglich. Aber auch wenn niemand zu Schaden kommt, aber sich Menschen im Bereich der ausgelösten Lawine befunden haben, sind strafrechtliche Konsequenzen möglich – wegen Gefährdung der körperlichen Sicherheit oder fahrlässiger Gemeingefährdung. Zudem sind gravierende Haftungsfolgen möglich, Geschädigte können etwa Schmerzensgeld oder die Krankenhauskosten einklagen. Lawinenwarnungen in den Wind zu schlagen, kann also teuer zu stehen kommen.
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