"Terroristen missbrauchen die Religion"

Der 28-jährige Theologe Ibrahim Olgun ist seit Juni Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft.
IGGÖ-Präsident Ibrahim Olgun über islamische Aufklärung, Jugendarbeit und neue Ideen für Moscheen.

Istanbul, Berlin, Nizza. Jeder Terroranschlag macht das Leben der Muslime in Europa schwieriger. Ihre Vertreter sehen sich gezwungen, dem Misstrauen gegen den Islam entgegenzuwirken. Im KURIER-Gespräch erklärt Präsident Ibrahim Olgun, wie die Islamische Glaubensgemeinschaft Österreich (IGGÖ) diese Herausforderung zu bewältigen versucht.

KURIER: Herr Präsident, Sie kommen gerade aus Deutschland zurück. Wie haben Sie als Moslem die Stimmung nach dem Anschlag von Berlin erlebt?

Ibrahim Olgun:Zuerst einmal: Wir haben diesen feigen Anschlag strikt verurteilt – wie jeden anderen auch. Die Muslime hat das Attentat traurig gemacht. Zu der menschlichen Betroffenheit kommt auch die Sorge, dass es mit dem Islam in Zusammenhang gebracht wird. Aber das hat nichts miteinander zu tun. Terroristen missbrauchen die Religion.

Wie können Muslime Andersgläubigen denn die Angst vor dem Islam nehmen?

Das ist eine große Herausforderung. Untereinander sind wir sicher, dass es im Islam keine Rechtfertigung für Terror gibt. Aber nach außen müssen wir die Verurteilung noch klarer vermitteln. Wir erwarten aber auch von den Vertretern anderer Religionen, dass sie differenzierter beurteilen und Muslime nicht pauschal als Sündenböcke abstempeln. Sie dürfen nicht in die Falle der Terroristen tappen, die auf eine Spaltung der Gesellschaft abzielen.

Kommentatoren meinen, die Muslime müssten sich nun der Diskussion über die Stellung ihrer Religion in einer aufgeklärten Gesellschaft offen stellen.

Das machen wir schon seit Jahren. Wir nehmen Einladungen anderer Religionsgruppen sowie zu TV-Diskussionen und Interviews gerne an. Dabei erklären wir bei jeder Gelegenheit unser Frauenbild und dass Pluralität, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Einklang mit unserer Religion stehen. Aber vielleicht hört man uns zu wenig zu. Denn es gibt viel Unwissenheit in unserer Gesellschaft. Und die geht einher mit Vorurteilen.

Kardinal Schönborn sagte im KURIER, der Islam würde eine Aufklärung vertragen, wie es sie auch im Christentum gab.

Ich schätze seine Eminenz sehr, aber als Islamtheologe bin ich anderer Meinung. Ich kann nur darauf verweisen, dass der Islam eine sehr dynamische Religion ist: In jedem Jahrhundert gab es eine interne Erneuerung und Aufklärung. Denn Grundlage des Islam ist die Vernunft selbst. Die Frage ist eher, wie sehr sich die Muslime mit den aufgeklärten islamischen Werken beschäftigen. Da ist noch viel zu tun.

Der Kardinal vergleicht den Krieg zwischen Schiiten und Sunniten mit dem 30-jährigen Krieg zwischen Katholiken und Protestanten.

Diese Konflikte sind vor allem politisch, nicht islamisch. Aber hier in Österreich gibt es sie nicht – wir leben in Geschwisterlichkeit zusammen. Die Moschee-Türen der einen sind für die jeweils anderen geöffnet.

Sie sprechen es selbst an: Die meisten Muslime haben von ihrer Religion wenig Ahnung. Wie kann man da gegensteuern?

Natürlich wollen wir als IGGÖ alle Muslime erreichen, aber das ist nicht leicht. Wir haben rund 600 Religionslehrer für mehr als 70.000 muslimische Schüler; wir haben Imame, Seelsorger in den Gefängnissen und Krankenhäusern. Aber das reicht noch nicht, es ist noch viel zu tun. Zum Beispiel wollen wir wöchentliche Begegnungstreffen mit Seelsorgern für Erwachsene und speziell für Frauen anbieten.

Und wie sieht es mit den Jugendlichen aus?Die Stimmung in der Bevölkerung ist nicht zuletzt von jungen männlichen Flüchtlingen aufgeheizt, die durch Gewaltexzesse und Sexualdelikte auffallen.

Das ist eine sehr wichtige Frage für uns. Wenn wir behaupten, an alle Jugendlichen heranzukommen, würden wir lügen. Über den Religionsunterricht schaffen wir das nur teilweise – auch wenn wir unseren Lehrern entsprechende Fortbildung ermöglichen. Integration und Aufklärung sind aber nicht allein Aufgaben der Schule – viel mehr sind die Eltern verantwortlich. Darum bieten wir auch hier neue Projekte an, um an diese heranzukommen.

Aber wie kommt man an Jugendliche heran, die dem Religionsunterricht oder auch den Moscheen fern bleiben?

Hier bedarf es einer noch stärkeren Kooperation mit den Behörden. Wir wollen uns bei der Jugendarbeit, zum Beispiel bei der Betreuung in Jugendheimen, stärker einbringen. Oder zu den jungen Leuten in die Parks und Shisha-Bars gehen. Es gibt viele Jugendliche, die den Islam nicht vorbildhaft leben. Die müssen wir finden und ihnen Angebote machen.

Hat die IGGÖ dafür denn genug qualifiziertes Personal?

Das ist eine berechtigte Frage. Wir haben genug ausgebildete Imame und Religionslehrer, die sich freiwillig dazu bereit erklären. Und das ist auch gut so: denn Imame sollen nicht nur in der Moschee stehen und darauf warten, dass die Leute auf sie zugehen. Das müssen wir in den Moscheen noch besprechen.

Apropos. Wäre mehr Transparenz in den Moscheen nicht im Interesse der Muslime?

Das ist ein großes Ziel. Zum einen haben wir den "Tag der offenen Moschee" gegründet und wollen diesen in Zukunft nicht nur ein Mal im Jahr, sondern mehrmals anbieten. Zum anderen sind Predigten auf Deutsch natürlich ein Thema. Es gibt bereits Moscheen, in denen sowohl auf Deutsch als auch in der Sprache der jeweiligen Gemeinde gepredigt wird. In anderen wird eine Simultanübersetzung der Predigt angeboten – wir erachten das als sehr vorteilhaft. Aber wir müssen versuchen, die Anzahl dieser Moscheen noch zu vervielfachen. Und wir haben vor, einen Teil der bundesweit 350 Gebetsräume während des Freitagsgebets für Besucher zu öffnen.

Und wie sieht es in den Kindergärten aus? Religionspädagoge Ednan Aslan ortete in seinem Bericht diverse Missstände.

Als IGGÖ haben wir zwar keine Kindergärten, aber wir haben nicht den Verdacht, dass kleinen Kindern der politische Islam vermittelt werden soll. Allerdings gab es einige Unordentlichkeiten bei einzelnen Trägervereinen – etwa Mängel in der Infrastruktur oder weil nicht Deutsch gesprochen wurde. Das Problem ist, dass Herrn Aslans Studie zu einem Generalverdacht gegen alle multikulturellen Kindergärten geführt hat. Wir überlegen uns nun einen eigenen Kriterienkatalog für muslimische Betreiber, der sich am Wiener Bildungsplan orientiert.

Abschließend: Was wünschen Sie sich für 2017?

Ich wünsche mir, dass die Vertreter der Religionen einander ihre Wertschätzung zeigen; dass wir gemeinsam ein friedliches Zusammenleben fördern und einen Schulterschluss gegen den Terror schaffen.

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