Spionageprozess: Türken sollen in Tirol Mitbürger bespitzelt haben
Der große Schwurgerichtssaal im Landesgericht Innsbruck wird ab heute Montag, 9 Uhr, zur Bühne für einen Spionagethriller, der sich auf Tiroler Boden zugetragen haben soll.
Die Sicherheitsvorkehrungen sind groß. Fotografieren sowie Film- und Tonaufnahmen sind untersagt. Von Prozessbeobachtern werden am Eingang zum Verhandlungssaal die Handys eingesammelt. Die Causa ist mehr als sensibel.
Angeklagt sind drei in Tirol wohnhafte Türken - eine Ehepaar (42 und 44 Jahre alt) und ein Mann (45). Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen "Vergehen des geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil Österreichs" sowie das "Verbrechen der Überlieferung an eine ausländische Macht" vor.
Der Prozess startete mit der Befragung der 42-Jährigen, die sich "nicht schuldig" bekennt.
Aber was steckt hinter den sperrig klingenden Anklagepunkten, die mit bis zu 10 Jahre Haft bestraft werden können?
Im Dienste des MIT
Die Angeklagten sollen für den türkischen Nachrichtendienst MIT in Österreich lebende türkische Staatsbürger sowie Österreicher türkischer Abstammung ausspioniert haben. Sie sollen sich aber nicht nur mit der Weitergabe der gesammelten Informationen begnügt haben.
Laut Staatsanwaltschaft soll das Ehepaar auch zwei Personen türkischer Abstammung unter Vortäuschung eines Goldgeschäfts in die Türkei gelockt und so in die Hände des MIT gelotst haben. Darum der Anklagepunkt "Überlieferung an eine ausländische Macht".
Aufgrund der Schwere der Vorwürfe müssen sich die Angeklagten vor einem Schwurgericht verantworten - einer der drei Verdächtigen ist auch noch wegen Wiederbetätigung angeklagt. Der 45-Jährige soll "WhatsApp-Nachrichten mit Adolf Hitler verherrlichendem Inhalt verschickt haben", heißt es.
Video und Namens-Dossier weitergespielt
Wen hatten die Angeklagten im Visier? Laut Staatsanwaltschaft hat das Trio - für das die Unschuldsvermutung gilt - unter anderem ein kompromittierendes Video von einem Religionslehrer, österreichischer Staatsbürger, an den MIT übermittelt.
Für türkischen Geheimdienst spioniert?
Das Ehepaar soll zudem mutmaßliche Mitglieder von Organisationen ausgeforscht haben, die in der Türkei als staatsfeindlich gelten. So sollen sie etwa ein mehrere hundert Seiten umfassendes Dossier verfasst haben, welches Namen von Personen, die der Gülen-Bewegung nahestehen sollten, aufgelistet hatte.
Die Bewegung um den im US-Exil lebenden Prediger Fethullah Gülen wird vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nach einem Putschversuch 2016 als Terrororganisation eingestuft und wird seither von der türkischen Regierung FETÖ (Fethullah‘sche Terrororganisation) bezeichnet.
Seither gibt es vor allem aus Deutschland immer wieder Berichte, dass dort lebene Türkeistämmige mit angeblicher Gülen-Nähe von Mitbürgern ausgespäht und die gesammelten Informationen in die Türkei weitergleitet werden.
Auch Kurden beobachtet
Die in Innsbruck angeklagten Männer sollen aber auch vermeintliche Anhänger der kurdischen Untergrundorganisation PKK im Visier gehabt haben. Für die Betroffenen kann all das vor allem gefährlich sein, wenn sie in die Türkei reisen. Dort droht Regimegegnern die Verhaftung.
Die Befragung der Angeklagten gestaltet sich schwierig. Sie will mit dem MIT nichts zu tun und dort auch niemand angeschwärzt haben.
Ihr werden Chat-Nachrichten vorgehalten, in denen sie von einem 300-Seiten-Dossier spricht, das auch den türkischen Staatspräsidenten müsste, da dort die Namen von FETÖ-Anhängern genannt werden.
"Kein Dossier weitergeleitet"
"Ich habe kein Dossier weitergeleitet", behauptet die Frau. Sie habe türkische Behörden darauf aufmerksam machen wollen, "dass wir keine FETÖ-Anhänger sind".
In dieser Widersprüchlichkeit geht es den ganzen Vormittag dahin. Immer wieder laufen die Fäden bei einer ATIB-Moschee im Tiroler Unterland zusammen, in der es 2018 offenbar zu einem Machtkampf gekommen ist, in den alle drei Angeklagten involviert waren.
Der Dritt-Angeklagte war dort Obmann, wurde dann aber abgesetzt. Laut seinem Verteidiger sei er selbst als Gülen-Anhänger bezeichnet worden.
Deshalb habe sich der Mann an das türkische General-Konsulat in Salzburg gewandt und dort ausgeführt, dass wiederum seine Gegner selbst Gülen-Anhänger wären.
Interne Streitigkeiten?
Alles nur Streitigkeiten in einem Moschee-Verein? Der ist jedenfalls in der Vergangenheit schon als Hort von Sympathisanten der rechtsextremen Grauen Wölfe aufgefallen.
Bei einem wohl mit dieser Bewegung in Verbindung stehendem Verein - er hat den grauen Wolf im Logo - waren die Frau und ihr Mann laut sichergestellten Ausweisen Mitglieder.
Laut der 42-jährigen hat sie über den Verein nur Schüler in der Türkei unterstützt. Ein sichergestelltes Foto, dass sie beim Wolfsgruß zeigt, sei in Ankara entstanden.
Auf Besuch in der MHP-Zentrale
Der habe für sie überhaupt keine Bedeutung, versichert die Angeklagte. Aufgenommen sei das Bild in Ankara worden, nach einem Besuch der Zentrale der MHP - also jener Partei, die als politischer Arm der Grauen Wölfe gilt.
Aber auch zur MHP will die Frau in keiner Verbindung stehen.
Aber was hat es mit dem für den Imam kompromittierenden Video auf sich? Wie sich im Verlaufe des Vormittags herausstellt, zeigt es den Religionslehrer offenbar beim Masturbieren.
Video kursierte
Laut der Angeklagten hat der Mann es selbst an Frauen, welche die Moschee besuchen, weitergeleitet. Von einer dieser Frauen habe auch sie es bekommen.
Dass sie dieses Sex-Video, wie vorgeworfen, an den MIT oder - wie aus einem Chat hervorgehen soll - an ein hohes Mitglied der MHP weitergeleitet hat, bestreitet die Angeklagte.
Der Verteidiger der Frau und ihres Mannes, dass es dem Ehepaar nur um den Schutz ihrer Tochter gegangen sei, die den Religionsunterricht bei dem Imam besucht habe.
Der gute Freund in der Türkei
Man habe das Video nur an einen Bekannten weitergeleitet, um sich zu informieren, ob man da etwas machen können.
Der gute Freund ist im Ortsvorstand eines türkischen Vereins, der den "Grauen Wolf" im Logo trägt und bei dem beide Ehepartner Mitglied sind, wie sichergestellte Ausweise belegen und sie zugeben. Seinen Freudn habe er für einen "Meinungsaustausch" kontaktiert, erklärte der Mann der Angeklagten in seiner Befragung am Nachmitag.
„Ich wollte nicht, dass der Imam seine Tätigkeit fortführt“, so der 44-Jährige zu seinen Beweggründen. Sein Freund habe ihm geraten habe sich „ans türkische Generalkonsulat oder den Vereinsvorstand“ zu wenden. Da der Imam sich aus Scham zurückgezogen habe, habe er aber nichts davon gemacht.
Ein dubioses Goldgeschäft
Der gute Freund war - wie es der Zufall will - auch die Kontaktperson für besagtes Goldgeschäft. Da er selbst kein Geld gehabt habe, um sich daran zu beteiligen, habe er einen Bekannten darüber informiert, der Arbeitgeber und Geschäftspartner des Angeklagten war.
Der soll sich dann in der Türkei mit seinen Reisebegleitern in einem Verhör durch den MIT wiedergefunden haben, wie die Anklage beschreibt.
Der Verteidiger des Ehepaares vermutet hingegen, dass die die Männer in der Türkei übers Ohr gehaut und um Geld erleichtert wurden und dann die Schuld bei seinem Mandanten gesucht haben.
Auch die zu dem Goldgeschäft befragten Türkeireisenden sahen sich offenbar in erster Linie als Opfer eines Betruges. Dass es sie es mit dem MIT zu tun hatten, glauben sie selbst nicht.
"Nicht schuldig" bekannte sich auch der dritte Angeklagte. Auch ihm wurde die Weiterleitung des Videos an den MIT vorgeworfen wurde. Er gab zu, das Video zu erkennen und erklärte kurz dessen Entstehung und „Herkunft“ aus seiner Sicht.
"Eine Art Flirt-Video"
"Das sexuelle Video war eine Art Flirt-Video für eine Frau“, führte er aus. Selbst habe er das Video aber weder weiterverbreitet noch an den MIT weitergeleitet. Das Video sei jedenfalls unabhängig von ihm „skandalöses Stadtgespräch“ gewesen. „Danach hat der Vorbeter einfach seine Koffer gepackt und war weg“, so der Mann.
Dessen Verteidiger hatte zu Prozessbeginn darauf verwiesen, dass auch nichts an den Vorwürfen dran sei, dass sein Mandant auch nichts mit besagtem Namens-Dossier zu tun hat. Vielmehr sei der 45-Jährige vor einigen Jahren selbst in einem internen Streit in der Moschee selbst von seinen Widersachern als Gülen-Anhänge bezeichnet worden.
2018 habe er sich deshalb "an das türkische Generalkonsulat in Salzburg gewandt" und ausgeführt, dass vielmehr seine Gegner Gülen-Anhänger seien. "Mein Mandant hat absolut nichts mit dem Geheimdienst zu tun", so der Verteidiger.
Woran es am ersten Prozesstag fehlte: einen klaren Beleg, dass die Angeklagten sich tatsächlich in Kontakt mit dem türkischen Geheimdienst gestanden sind.
Am Mittwoch wird der Prozess fortgesetzt.
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