Missbrauch bei SOS-Kinderdorf: Aufarbeitung wird zur Überlebensfrage
Die Föderation der SOS-Kinderdörfer zieht die Notbremse: Der Länderverein SOS-Kinderdorf Österreich wird per Entscheid des internationalen Aufsichtsrates „mit sofortiger Wirkung suspendiert“, wie am Freitagnachmittag bekannt wurde.
Viele Fragen im Zusammenhang mit den Missbrauchsvorwürfen gegen den 1986 verstorbenen Gründer Hermann Gmeiner – und dem Umgang damit – seien offen. Der Dachverband fordert „vollständige Aufklärung“. Die Entscheidung spiegle wieder, dass innerhalb der Föderation „keinerlei Form von Missbrauch oder Intransparenz geduldet“ werde, so Domenico Parisi, Vorstandsvorsitzender von SOS-Kinderdorf International.
Die Vorwürfe gegen Gmeiner waren in der Organisation seit 2013 bekannt, acht Opfer wurden mit je 25.000 Euro entschädigt. Am Donnerstag machte SOS-Kinderdorf sie öffentlich, nachdem der Falter bereits im September über Fälle von Misshandlung berichtet hat.
Spendenaufkommen
Annemarie Schlack, eine der Geschäftsführerinnen, versprach am Donnerstag in der ZiB2: „Es bleibt kein Stein auf dem anderen.“ Jeder neuen Meldung, die eingeht, werde nachgegangen. Man werde alles tun, um das beschädigte Vertrauen zurückzugewinnen.
Die Aufarbeitung wird fürs SOS-Kinderdorf zur Überlebensfrage: Die Non Profit Organisation, die in Österreich aktuell 1.800 Kinder in ihrer Obhut hat, lebt zu gut einem Drittel von Spenden. Mit einem Spendenaufkommen von 45,2 Millionen Euro im Jahr 2023 steht sie an dritter Stelle hinter Rotem Kreuz und Caritas, wie der Spendenbericht 2024 des Fundraising Verbands zeigt.
Seit der Gründung 1959 durch Hermann Gmeiner hat die Non Profit Organisation (NPO) SOS-Kinderdorf 14.500 Kinder und Jugendliche in Betreuung und ist weltweit aktiv.
1.800 Kinder und Jugendliche leben aktuell in Kinderdörfern, Wohngruppen und Krisenfamilien. Weitere 4.000 werden in ihren Familien unterstützt.
45,2 Mio. Euro an Spenden hat SOS Kinderdorf 2023 lukriert und ist damit die drittgrößte NPO hinter dem Roten Kreuz (118,7) und der Caritas (105,5).
2023 haben die Österreicher in Summe 1,075 Milliarden Euro gespendet – und laut der Erhebung ist „Sympathie gegenüber einer Organisation“ das stärkste Motiv dafür, wem sie spenden. Acht Prozent der Spenden gingen an Organisationen, die sich konkret für Kinder engagieren, der Großteil floss in die internationale Hilfe und in den Bereich Gesundheit und Soziales. In alle Bereiche spielt hinein: Kinder sind – nach Tieren – das zweitbeliebteste Spendenziel.
Dass sich der Missbrauchsskandal auf das Spendenaufkommen für SOS-Kinderdorf auswirken wird – davon geht Udo Jesionek, Präsident des Weißen Rings, aus. Eine „volle Aufarbeitung und Diskussion darüber, was passiert ist“ sei notwendig, damit sich die Organisation mittel- bis langfristig wieder erholt, sagt er im KURIER-Gespräch.
Dr. Jekyll & Mr. Hyde
Sein Ansatz für die Zukunft: Wer Kinderschutz gewährleisten will, müsse das Personal in den Fokus nehmen.
„Geschlossene Systeme“ würden immer Gefahren bergen, erklärt der Präsident der größten Opferhilfsorganisation Österreichs. „Jeder von uns trägt einen Dr. Jekyll und Mister Hyde in sich, und bei manchen ist ein gewisser Sadismus oder eine krankhafte Neigung angelegt. Wenn sich dann die Gelegenheit bietet in einer Umgebung, in der Kinder hilflos ausgeliefert sind, kommt es zu solchen schlimmen Vorfällen. Davor ist keine Organisation gefeit.“
Aber auch ohne sadistische Anlage könne es beim Personal zu einer Überforderung kommen, die sich in Gewalt entlädt. „Erziehung ist ein harter Job. Es hilft, mit jemandem darüber zu reden“, sagt er. Deshalb schlägt er eine „permanente Supervision“ vor. Die Politik müsse die entsprechenden Mittel bereitstellen.
Die Aufarbeitung des Skandals habe noch einen weiteren Zweck: Generalprävention. Jene, die ihre Macht und Überlegenheit missbrauchen, sollen sehen, dass solche Taten irgendwann publik werden. Und Kinder sollten wissen, dass ihnen geglaubt wird.
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