Missbrauch beim SOS-Kinderdorf: Bisher 67 Meldungen eingegangen

INTERVIEW: SOS-KINDERDORF-GESCHÄFTSFÜHRERIN ANNEMARIE SCHLACK
Bereits seit 2023 war der Geschäftsführerin ein Fall eines Opfers bekannt, der entschädigt wurde. Annemarie Schlack verspricht Überprüfung "aller Ebenen, alle Würdenträger."

Der Schock sitzt nach den bekanntgewordenen Missbrauchsvorwürfen gegen den 1986 verstorbenen Gründer der SOS-Kinderdörfer, Hermann Gmeiner, nach wie vor tief. 

Gmeiner soll zumindest an acht minderjährigen Burschen "sexuelle Gewalt und Misshandlungen" ausgeübt zu haben. SOS-Kinderdorf will sich nun vollkommen neu aufstellen und die Vergangenheit rigoros aufarbeiten.

Das betonte Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von SOS-Kinderdorf, in der ZIB 2 am Donnerstag.  "Die Unkultur des Schweigens, die sich durch die Vergangenheit zieht, die hat jetzt ein Ende. Wir machen jetzt tabula rasa, wir brauchen einen Neustart der Organisation." 

Historische Fälle werden aufgearbeitet

Und sie nennt neue Zahlen im Zusammenhang mit der Missbrauchsserie: 67 Meldungen seien seit Beginn der Berichterstattung beim SOS-Kinderdorf eingegangen. 

"Es gibt historische Fälle, die aufgearbeitet werden. Betroffene, besorgte Eltern bis hin zu Spender, die melden sich jetzt bei uns", so Schlack. Nicht alle Meldungen würden akute Kinderschutzgefährdungen betreffen.

"Zeichen für Vertuschung"

"Die Meldungen zeigen mir, dass unsere Kanäle funktionieren. Nervös würde ich werden, wenn es keine geben würde. Das wäre dann ein Zeichen für Vertuschung", erklärt die Geschäftsführerin weiter. 

Die Missbrauchs-Meldungen stammen aus Opferschutzverfahren der Organisation in den Jahren 2013 bis 2023. Die Übergriffe selbst sollen in den 1950er- bis 1980er-Jahren an vier Standorten in Österreich stattgefunden haben. Übergriffe auf Mädchen sind nicht bekannt. 

250.000 Euro Entschädigung

Alle acht Betroffene wurden mit bis zu 25.000 Euro entschädigt, zudem wurden Therapieeinheiten bezahlt. Gmeiner galt zeit seines Lebens als juristisch unbescholten. Das Opferschutzverfahren ist auch kein juristisches Instrument, sondern "ein Anerkennungs- und Unterstützungsinstrument".

Schlack ist seit 2024 Geschäftsführerin bei SOS-Kinderdorf. Zuvor war sie international für die Organisation tätig. Wie viel wusste sie selbst von den Missbrauchsvorwürfen?

"Persönlich ein Fall bekannt"

"Mir war persönlich ein Fall aus 2023 bekannt, der damals von der Opferschutzkommission entschädigt wurde. Die damalige Geschäftsführerin hat damals auch ein zweites Gutachten einholen wollen, damit nächste Schritte für eine interne und externe Aufarbeitung gelegt werden können", so die Geschäftsführerin.

Sie habe damals mit dem Status-quo übernommen, dass ein zweites Gutachten nicht eingeholt werden konnte. "Ich habe das dann nicht extern kommuniziert. Im Nachhinein muss ich sagen, das war ein Fehler, man hätte früher kommunizieren müssen."

++ ARCHIVBILD ++ MISSBRAUCHSVORWÜRFE GEGEN VERSTORBENEN SOS-KINDERDORF-GRÜNDER: GMEINER

Die Vorwürfe gegen den SOS-Kinderdorf-Gründer sind seit 2013 bekannt. 

Im Zuge der Missbrauchscausa bei SOS-Kinderdorf wurde auch der langjährige Geschäftsführer Christian Moser dienstfrei gestellt. Welche Verantwortung Moser an der Vertuschung der Missbrauchsvorwürfe gegen Gmeiner trägt, müsse die Reformkommission nun klären, so Schlack. Eine Dienstfreistellung sei ein Standardmittel, um im Schutz der Organisation zu vermeiden, dass Interessenskonflikte entstehen oder irgendeine Glaubwürdigkeit leiden könnte. 

"Nicht wiedergutzumachen"

"Wir werden jedem Hinweis nachgehen. Alle Ebenen, alle Würdenträger, niemand steht über der Verantwortung. Die Aufarbeitung wird Zeit und Energie kosten. Wir glauben aber den Betroffenen. Das, was ihnen widerfahren ist, ist nicht wiedergutzumachen. Es tut mir wirklich aufrichtig leid", betont Schlack. 

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