Herr Sobotka, die Regierung hat ein Terrorpaket beschlossen. Braucht es nicht vielmehr ein ordentliches Deradikalisierungs- und Integrationsprogramm?
Wolfgang Sobotka: Das sind zwei Themen, die zusammenspielen müssen. Die Frage der Integration ist wichtig. Das fängt bei der Wohnsituation an, geht weiter zur Ausbildung, zum Freizeitangebot und zur Arbeit. Aber im konkreten Fall war der Attentäter von Wien ein Jugendlicher, der Probleme mit seinen Eltern hatte, wie viele andere in seinem Alter auch. Warum konnte er sich radikalisieren? Weil er Moscheen besuchen konnte, wo er radikalisiert wurde. Um gegen solche Moscheen vorzugehen, braucht es gesetzliche Werkzeuge, damit diese Strukturen nicht wirksam werden. Auch bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft muss man besonders darauf achten, ob die neuen Staatsbürger den Rechtsstaat anerkennen. Auf diesem Gebiet ist auch die Islamische Glaubensgemeinschaft viel zu wenig aktiv, um das ihren Gläubigen näher zu bringen.
Mansour: Man muss den Muslimen zeigen, dass sie in Europa am sichersten sind, um ihre Religion ausüben zu können. Aber: Für diese Religionsfreiheit ist es wichtig, Demokrat und Muslim zugleich zu sein. Bestes Beispiel dafür ist die Diskussion über die Mohammed-Karikaturen. Viele Muslime lehnen diese Art von Meinungsfreiheit ab. Ich sage nicht, dass die Muslime diese Karikaturen gut finden sollen. Wer aber Teil dieser Gesellschaft sein will, muss verstehen, dass Religionsfreiheit nur dann möglich ist, wenn es Meinungsfreiheit gibt.
Sobotka: Schauen wir uns die Muslimbrüder an. In Ägypten gelten sie als Terrororganisation. Das werden sie bei uns nicht finden. Es ist aber sehr wohl ein Problem, dass die Muslimbrüder unser Rechtssystem nicht akzeptieren wollen und sich ihr eigenes aufbauen. Dieser Entwicklung muss man entschieden entgegentreten. Dafür brauchen wir aber auch die Kooperation der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Hier vermisse ich bei den Verantwortungsträgern, dass sie von ihren Mitgläubigen ein klares Bekenntnis einfordern. Sie unterstützen diese Tendenzen zwar nicht, aber sie treten auch nicht entschieden dagegen auf.
Mansour: Die Muslimbrüder rufen nicht zur Gewalt auf, aber sie arbeiten mit demokratischen Mitteln, um undemokratische Werte zu vermitteln. Sie lehnen die Gleichberechtigung oder die kritische Auseinandersetzung mit der Religion ab. Sie leben antisemitische Bilder.
Herr Mansour, es gibt in Österreich 93 IS-Rückkehrer. Auch der Attentäter von Wien war auf dem Weg in die IS-Gebiete. Wie soll man mit dieser Gruppe umgehen?
Mansour: Da, wo Ausweisungen möglich sind – also, wenn sie nicht österreichische Staatsbürger sind –, muss man sie ausweisen. Das ist die Strafe, die am meisten wehtut. Wir merken gerade, wie viele IS-Rückkehrer auf einmal sehr deradikalisiert sind, weil sie hier ganz andere Bedingungen vorfinden. Diese Leute sollten wir nicht zurückholen, weil wir dadurch ein Sicherheitsproblem schaffen. Man darf an Menschen, die mit der Idee spielen, sich dieser Organisation anzuschließen, auch nicht die Botschaft senden: Man kann zum IS gehen, an einem Völkermord beteiligt sein und wenn es dann unbequem wird, kann man nach Europa zurückkommen, und nach zwei Jahren im Gefängnis fängt das Leben wieder an. Deswegen bin ich für saftige Strafen, absolute Law-&-Order-Politik, weil wir auch nicht wissen, welche Taten die Rückkehrer begangen haben. Nur so ist es eine Abschreckung.
Sobotka: So ist es auch bei internationalen Verbrechen. Es braucht bei diesem Problem eine europäische Lösung, weil die Länder gar nicht die Informationen erhalten, welche Straftaten die Rückkehrer begangen haben.
Der Terrorist von Wien soll Behörden getäuscht haben. War er so genial oder waren die Behörden so naiv?
Mansour: Diese Menschen besitzen die Fähigkeit zu manipulieren. Aber das sollten Experten, die für Deradikalisierung zuständig sind, wissen und sich nicht so leicht in die Irre führen lassen. Derzeit funktioniert die Deradikalisierung nicht. Zu glauben, dass Sozialarbeiter und Islamwissenschaftler deradikalisieren können, ist naiv. Diejenigen, die schon im Gefängnis arbeiten – Psychologen, Fachdienste, Sozialarbeiter –, müssen miteinbezogen werden in die Programme.
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