Als Susanne Pickel die Nachricht vom Terroranschlag in Wien erreichte, war ihr erster Gedanke: „Was für ein Glück, dass es zwei Muslime waren, die geholfen haben“. Die Politikwissenschafterin der Universität Duisburg-Essen weiß, wie sehr Hetze und Verallgemeinerung die Diskussion prägen. „Die Helfer taten etwas, wofür man große Überwindung braucht. Ihr Verhalten zeigt, dass es im Islam viele verschiedene Lebensweisen gibt.“ Auf der einen Seite gibt es jene, die Menschen aus verblendeter Radikalisierung heraus umbringen. Auf der anderen die, die Menschen in Not beistehen.
Pickel kennt sich mit der Thematik aus, hat sie doch gerade ihr Forschungsprojekt „Radikaler Islam versus radikaler Anti-Islam“ gestartet. Gemeinsam mit dem Integrationsforscher Haci-Halil Uslucan untersuchen vier deutsche Unis, wie sich die Radikalisierung des Islam, seine pauschale Ablehnung und antidemokratische Mobilisierung immer enger verzahnen.
Welche Dynamiken entstehen?
Was bringt junge Menschen dazu, sich politisch abzugrenzen und sich zu radikalisieren? Darauf sucht Pickel Antworten. So viel ist schon jetzt klar: Seit dem 11. September haben Terroranschläge weltweit für ein negatives Bild des Islam gesorgt. Eine Folge: Nicht anerkannt von der Gesellschaft, in der sie leben, wenden sich junge Muslime fundamentalistischen Auslegungen des Korans bis hin zu einem fanatischen Islamismus zu. Im Gespräch mit dem KURIER erzählt Pickel, wie man den Teufelskreis aus diskriminiert werden (Muslime) und sich vom Islam bedroht fühlen (Christen) durchbrechen kann.
Wissen fehlt
„Wir haben festgestellt, dass die Ablehnung des Islams dort besonders groß ist, wo gar keine Muslime leben. Es fehlt also an Wissen. Wenn in der Vergangenheit ein Kardinalfehler gemacht wurde, dann vielleicht der, dass zu wenig gelehrt wurde, was Islam eigentlich ist. Und, dass umgekehrt zu wenig bekannt ist, was Christentum ist“, sagt Pickel.
Christen sind mehr als Kreuzfahrer, Muslime mehr als Dschihadisten.
von Susanne Pickel
Politikwissenschafterin
Darum nehmen sich die Wissenschafter jetzt die Schulbücher vor, Kurzvideos sollen schon den ganz Jungen ein positives Bild der anderen Religion vermitteln. Denn mitunter ist es schon bei Zehnjährigen zu spät, ist die Erfahrung der Radikalisierungsforscherin: „Wenn Kinder in einem Milieu aufwachsen, das stark durch Ablehnung und Bedrohungsgefühl gekennzeichnet ist, sind sie, wenn sie in die Schule kommen, bereits geprägt. Wir müssen also schon die ersten Tendenzen auffangen.“
Und darum spielen, ist Pickel überzeugt, die Schulen eine Schlüsselrolle: „Da müssen alle Kinder hin, und da erreicht man sie.“
Im Religions- oder Ethikunterricht muss Toleranz gegenüber den jeweiliges anderen Religionen, aber Intoleranz gegenüber Intoleranz gelehrt werden.
von Susanne Pickel
Gewaltforscherin
Mit dieser Strategie kann man möglicherweise sogar einer weiteren wichtigen Facette des Problems begegnen: „Radikaler Islam und Rechtsextremismus bedingen sich gegenseitig“, analysiert die Politikwissenschafterin. Rechtspopulisten und Rechtsextreme greifen die Angst vor „dem Islam“ auf und stellen „die Muslime“ unter Generalverdacht. Pickel: „Wir wollen auch untersuchen, inwieweit dieses Narrativ des Rechtsextremismus – das Gerücht von einer sogenannten Umvolkung und Islamisierung des Abendlandes – das Gesellschaftsklima bereits prägt.“
Schnelle Lösungen? Fehlanzeige
Das Problem dabei: Um das zu erforschen, und im Idealfall zu ändern, „müssen wir an beide Strukturen ran: Wir müssen die Rechtsextremisten genauso erreichen, wie wir an die radikalen Muslime ran müssen.“ Nicht nur in der Schule, auch darüber hinaus, in den Familien und im sozialen Umfeld.
Schnelle Lösungen werde es also nicht geben. „Das kann nicht funktionieren, denn das geht in die Einstellungsstrukturen der Menschen hinein“, sagt Pickel. „Wenn man etwas verändern will, muss man das Thema immer wieder ansprechen und all das zum permanenten Unterrichtsstoff machen.“
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