Das Medikament ist laut führenden Anästhesisten wegen der Anfälligkeit auf Keime „hoch antiseptisch“ zu verwenden – das bedeutet: steril aufbewahrt, kühl gelagert und gegen jede Form der Verunreinigung geschützt. Durchstechflaschen sind sofort nach dem Öffnen zu verwenden und der übrige Inhalt danach zu entsorgen.
Diese gängige Praxis habe der Anästhesist mit 23-jähriger Berufserfahrung sträflich vernachlässigt und, wie er im ersten Prozess zugab, ein geöffnetes Fläschchen in seiner Jausenbox mit nach Hause genommen. Dort lagerte er es im Kühlschrank zwischen den Lebensmitteln. Tags darauf verwendete er das mit einem Darmkeim kontaminierte Fläschchen bei drei Follikel-Punktionen (Eizellen-Entnahmen) in der Kinderwunschklinik.
Pia M. (32) erhielt als erste Patientin die volle Dosis, sie starb zwei Tage später an Multiorganversagen. Bei den beiden weiteren Patientinnen, Aleksandra M. und Anna B., kam es zur Vermischung mit einer frischen Flasche des Medikaments. Sie fielen ins Koma, überlebten laut dem Sachverständigen aufgrund der geringeren Keimmenge.
Vorsatz vermutet
Der Einzelrichter nahm dem Angeklagten nicht ab, dass er als erfahrener Anästhesist nicht wusste, wie gefährlich die Verwendung eines geöffneten Propofol-Fläschchens sei. Dies würde aber auch den Vorsatz bedeuten, dass der Arzt das Risiko bewusst in Kauf nahm. Daher wollte der Richter den Fall mit dem Unzuständigkeitsurteil an ein Schöffengericht weiter delegieren. Und zwar wegen des Tatbestandes der vorsätzlichen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang.
Das OLG sieht die Sache jedoch anders. „Dass der Angeklagte die tatsächliche Verkeimung des angebrochenen Propofol ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, wurde jedenfalls ausdrücklich nicht angenommen, sodass auch insoweit kein vorsätzliches Handeln indiziert ist“, heißt es im Urteil des OLG.
Bestätigung
Rechtsanwalt Michael Dohr, der den Anästhesisten vertritt, sieht sich dadurch bestätigt. „Es ist einer der seltenen Fälle, in dem Staatsanwaltschaft und Verteidigung einer Meinung gewesen sind. Der Richter aber dennoch nach mehrstündiger Verhandlung anderer Meinung gewesen ist, was ebenso ungewöhnlich wie irritierend war. Das OLG Wien hat klargestellt, dass niemals ein Vorsatz angenommen werden kann, sondern, dass es sich um eine Fahrlässigkeit handelt.“ Ähnlich wie bei vergleichbaren Verkehrsunfällen, meint Dohr.
Auch wenn der Mediziner den fatalen Fehler im Umgang mit dem Narkosemittel im ersten Prozess eingestand, bekennt er sich weiterhin der grob fahrlässigen Tötung nicht schuldig. „Weil viele Aspekte in dem Verfahren weder ermittelt noch aufgeklärt wurden“, so Dohr. Er bekrittelt unter anderem die mangelnde forensische Untersuchung des bei den Punktionen verwendeten OP-Bestecks. Laut dem Anwalt hätten die Keime auch anderswo herrühren können.
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