Tatsächlich verzeichnet auch Österreichs größter Pop-Rock-Veranstalter Ewald Tatar im Herbst Einbußen im Publikumszuspruch. Die sind allerdings nicht so drastisch wie in anderen Sparten der Kultur. „Ich schätze, es ist bei kleinen und mittleren Konzerten ein Rückgang um 10 bis 15 Prozent im Vergleich zu den Jahren vor Corona“, erklärt er im Interview mit dem KURIER. „Das ist aber stark von den Künstlern und Genres abhängig. Metal-Shows haben vor Corona immer sehr stabil verkauft. Da gibt es jetzt manche Acts, die sich weniger gut verkaufen. Und sie verkaufen sich erst sieben bis zehn Tage vor der Show gut. Aber das hat sich generell geändert: Aus der in der Pandemie entstandenen Unsicherheit, ob die Shows wie angekündigt stattfinden, kaufen die Leute ihre Tickets erst viel näher zum Konzertdatum hin.“
Dass das so bleibt und dieser Herbst richtungsweisend für das Kaufverhalten seines Publikums in der Zukunft ist, glaubt Tatar nicht: „Natürlich sind die Leute noch unsicher, speziell wenn jetzt alle über die Corona-Herbstwelle reden. Es wird noch dauern, bis das Vertrauen, dass Konzerte wie angekündigt passieren, wieder da ist und sich alles stabilisiert und eingespielt hat.“
Ulrich Drechsler, Saxofonist und Chef der Band Café Drechsler, sieht die großen Probleme mit dem Publikumsrückgang in der Musikszene auch nicht im Pop, sondern im Jazz und in der Klassik: „Von Veranstaltern höre ich, dass es da einen Publikumsrückgang von 25 bis 35 Prozent gibt“, sagt er. „Das liegt daran, dass Jazz und Klassik eher gesetztere Leute anspricht, die nach Corona festgestellt haben, dass sie gut auch ohne Konzerte auskommen. In Pop-Rock-Konzerte gehen eher junge Leute, die etwas erleben wollen, das gehört für sie zur Lebensqualität. Außerdem bekommt man mit Festivals und bei Großkonzerten relativ viel geboten – eine tolle Show oder Dutzende Bands für wenig Geld. Und die Hochkultur fordert das Publikum mehr heraus, ist anstrengender. In Zeiten wie diesen, wo der Alltag schon so anstrengend ist, wollen die Leute aber lieber abschalten, was mit Pop und Rock besser geht.“
Am meisten durch den Publikumsrückgang gefährdet sieht Drechsler die kulturellen Klein- und Mittelbetriebe und die Szene auf dem Land. Jene Betriebe, die Newcomern die Chance geben, sich dem Publikum vorzustellen.
Denn nicht nur das gesetztere Publikum bleibt nach der Pandemie aus. Es sind auch die „Gelegenheits-Besucher“, die zwei oder drei Mal im Jahr ins Konzert gehen. Noch mehr als um den Nachwuchs macht sich Drechsler deshalb Sorgen um die Auswirkungen all dessen auf die Gesellschaft.
„Meine Generation hat eine humanistisch geprägte Bildung und Weltsicht mit auf den Weg bekommen. Sie gibt uns die Fähigkeit, Zusammenhänge in größerem Maßstab zu verstehen. Aber bildende Kunst und Musik, alles, was mit Kreativität zu tun hat, wird in den Schulen immer unwichtiger. Das sehe ich an meinen Kindern. Konzerte, diese kulturelle Bildung und die Kultur an sich haben aber ein verbindendes Element, das für eine Gesellschaft sehr wichtig ist. Sinn der Kultur ist ja, dass sie unterhält, aber auch Denkanstöße liefert, Sachen in unserem Alltag zu hinterfragen. Wenn das wegfällt und wir nur noch mit leichter Kost gefüttert werden, verblöden wir, verlieren die Fähigkeit, ein eigenes Weltbild zu entwickeln. Dann sind wir Marionetten der Meinungsmacher, egal ob die aus der Wirtschaft, der Politik oder sonst woher kommen.“
Einen Ausweg für die Zukunft sieht Drechsler darin, Formate zu entwickeln, die Alt und Jung gleichzeitig ansprechen. Er selbst hat mit seinen Veranstaltungsreihen „Liminal Zone“ und „Buch der Klänge“ während der Pandemie immer wieder Musiker aus der Klassik, dem Jazz und der Elektronik gemeinsam auf die Bühne gebracht. „Da saßen 20-Jährige neben 80-Jährigen, und alle hatten Spaß. Aber dazu müssen wir aus unserem Elfenbeinturm-Denken rauskommen, nicht mehr sagen, wir sind wichtig, wir sind die Opfer, lasst uns nicht sterben, sondern aktiv Neues entwickeln.“
Drechsler plädiert außerdem dafür, die Verteilung von Kulturförderungen zu überdenken: "Ich finde es unglaublich wichtig, dass es sie gibt, und nehme sie selbst in Anspruch. Aber wenn damit Formate entwickelt werden, die künstlerisch zwar sehr hochwertig sind, aber das Publikum nicht ansprechen, finde ich das sehr fraglich. Ich mache mir damit jetzt wahrscheinlich keine Freunde und ich will auch nicht die Wichtigkeit von zeitgenössischer Musik infrage stellen. Aber es werden in dem Bereich Auftragswerke erstellt, die dann zwei Mal vor kleinem Publikum aufgeführt werden - für immense Summen, für die man zwei, drei kleine Veranstalter finanziell ein ganzes Jahr absichern könnte. Da stimmt die Dimension für mich nicht."
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