Politik und Spiele: Von Propaganda, Zensur und Kolonialismus
Einer noblen Wohninsel im Berliner Wannsee soll es geschuldet sein, dass das beliebte Gesellschaftsspiel Monopoly im Deutschen Reich auf dem Index landete. Die Insel trägt den Namen Schwanenwerder und war die teuerste Straße auf dem Spielbrett.
Einem ihrer – realen – Bewohner soll das nicht gefallen haben: Josef Goebbels, einflussreicher Einflüsterer von Adolf Hitler und NS-Reichspropagandaminister, residierte dort.
Dass Monopoly, ein Spiel mit „jüdisch-spekulativem Charakter“, seine Volksnähe untergrub? Undenkbar. Die Hitlerjugend schwärmte aus und zwang Spielwarenhändler, Monopoly aus dem Sortiment zu nehmen.
Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass ein autoritäres Regime das Spiel verbot. Andere Spiele kamen – und kommen – Machthabern hingegen sehr gelegen.
Spiel und Politik, ein ambivalentes Verhältnis.
Römer und rote Regime
„Spiele sind nicht von vornherein unschuldig“, sagt der renommierte deutsche Spieleforscher Jens Junge. „Machthaber können die positiven Ansätze des Spiels für Propaganda nutzen, um ihre Ideologien zu verbreiten.“
Die Macht der Spiele entdeckten daher nicht erst die Nazis. Schon vor rund 2.000 Jahren widmete der römische Satiriker Juvenal eines seiner Werke dem Spiel. „Brot und Spiele“ – panem et circensis – ist zu einem geflügelten Wort geworden für eine Machtelite, die sich die Gunst des Volkes spielend und spielerisch erkauft.
Die einst üblichen Gladiatorenkämpfe sind zwar längst Geschichte, die Mechanismen sind aber auch in der modernen Politik ähnlich.
Die Sowjets erkannten die Bedeutung von Gesellschaftsspielen: Im Jahr 1926 erschien im „Verlag des Volkskomitees für Gesundheit“ das Spiel Für eine gesunde Lebensweise, das eine wichtige sozialpolitische Botschaft vermitteln sollte: Die Gesundung des Arbeits- und Alltagslebens liege in der Verantwortung der Werktätigen.
Über vierzig Felder hinweg erwürfelte man sich – wenig subtil – Wissenswertes über die Gefahren der grassierenden Alkoholsucht, Tuberkulose und Geschlechtskrankheiten. Feld 32: „Wodka. Zurück auf 18.“ Oder Feld 37: „Ein Mann hört auf eine alte Volksheilerin. Zurück auf 27 (Friedhof).“
Systeme, die einen starken Begriff von Wahrheit ausbilden, sind im Grunde spielefeindlich.
Was hingegen nicht ins Weltbild passte, das wurde rasch verboten. (So wie das kapitalistische Monopoly – da ist es wieder! – in der DDR. Systemgegner spielten aber ohnehin lieber die Variante Bürokratopoly, das den Sozialismus hart karikierte.)
„Systeme, die einen starken Begriff von Wahrheit ausbilden, sind im Grunde spielefeindlich. (...) Spiele haben keine Transzendenz, deswegen unterminieren sie jeden Glauben, ob an Gott oder an die Weltrevolution“, formuliert es der Historiker Ernst Strouhal in einem FAZ-Interview.
Strouhal weiß, wovon er spricht. Er hat 63 historische Spielpläne für einen faszinierenden Bildband (Die Welt im Spiel, Braumüller Verlag) aufbereitet.
Lernen als zentrale Funktion
Eine der zentralen Funktionen des Spiels, nämlich das Lernen, macht sich die Politik gerne zunutze. Beim Spiel lernt man – und das gefällt jedem Machthaber! – vor allem eines: Dass es Regeln gibt. Oder, präziser: Dass man die Regeln befolgen muss.
Wer das nicht tut, ist ein Spielverderber und wird mit dem Ausschluss aus der Gemeinschaft bestraft. Er darf nicht mehr mitspielen. Diese Regelgläubigkeit verleiht Spielen etwas Konservatives, ja fast Reaktionäres, weiß man in der modernen Spieleforschung.
Freilich kann das Gesellschaftsspiel auch emanzipatorische Aspekte haben: „Im Spiel kann man reflektieren, Regeln infrage Stellen“, sagt Junge. Indem man geltende Regeln ändere oder neue aufstelle, „kann man die Gesellschaft neu denken“.
So geschehen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Während sich Feudalherren beim Wiener Kongress Europa untereinander aufteilten, entstand zeitgleich das Kartenspiel Skat. „Und da ist der Bauer tonangebend, der König hat nichts zu sagen. Eine versteckte Botschaft.“
Die Welt erobern
Spielverbote gibt es übrigens bis heute, wenn auch oft aus anderen Gründen. Wett- und Glückspiele sind in vielen Staaten beschränkt oder verboten. (Auch hier waren die alten Römer Vorreiter, die das Laster der Würfelspiele zu verbieten versuchten. Erfolglos.)
Ähnliches gilt für gewaltverherrlichende Spiele, die die Zensur auf den Plan rufen oder oft Altersbeschränkungen unterliegen.
Hin und wieder reagieren Verlage auch auf Kritik der Spieler selbst. In Belgien sorgte 2003 etwa eine Frage im Brettspiel zu Wer wird Millionär? für Empörung.
Es ging um den belgischen Kinderschänder Marc Dutroux. Wer wusste, ob Dutroux A) Zahnarzt, B) Automechaniker, C) Versicherungsvertreter oder aber D) Elektriker war, der konnte 500.000 Franken an Spielgeld gewinnen. Das war den Belgiern zu viel. Der Verlag entfernte die Frage. (Bevor Sie googeln: D ist richtig.)
So mancher Verlag und Konzern geht aber auch selbst gegen politische Vereinnahmung vor. Die Monopoly-Macher (schon wieder!) prozessierten gegen ein Anti-Monopoly, in dem es um die Zerschlagung von Monopolen ging.
Lego weigerte sich, den Künstler Ai Weiwei mit seinen Steinen zu beliefern, weil er die Gesichter von Menschenrechtlern nachbauen wollte.
Weniger Aufregung gab es um ein Schachspiel, bei dem die Könige Stalin und Hitler (mit Eva Braun als Dame) gegeneinander antreten. Das Spiel gibt es zu kaufen.
Rassismus-Debatte
Aktuell dräut eine andere Debatte herauf. Jene über Kolonialismus und Rassismus in der europäischen Spieleszene. Das Genre der Aufbauspiele führt auch heute noch vermehrt zu Publikationen mit kolonialistischem Hintergrund.
Was die Debatte erschwert? Die Spiele sind nicht explizit politisch. Das Thema schwingt aber mit – und ist zugleich die unhinterfragbare Grundlage der Spiele.
„Die Spieler treten oft als weiße Invasoren auf, die sich in anderen Kontinenten ungeniert bedienen“, sagt die Spieleforscherin Sabine Harrer.
Die Debatte ist mittlerweile noch ein Stück weiter – und dreht sich um die bildliche und farbliche Darstellung von Menschengruppen.
Erst Anfang des Jahres entbrannte etwa eine Kontroverse um Puerto Rico (2002, Alea/Ravensburger). Die Spieler besiedeln die Karibik, bauen Plantagen, verschiffen Waren in die alte Heimat und greifen dabei auf Sklavenarbeiter zurück – dargestellt als braune Spielsteine.
Der Verlag reagierte unlängst auf die Kritik. Er benannte in der Spielanleitung das heikle Thema – und färbte die neu benannten Arbeiter-Spielsteine um. Sie sind nicht mehr braun, sondern lila.
Das N-Wort
Alles richtig gemacht? Ja. Und nein. Reaktionäre Spieler störten sich an der Umfärbung. Unter ihnen der bekannte Spieledesigner Daniele Tascini (u.a. Auf den Spuren von Marco Polo), der in einem Posting das N-Wort verwendete – und auch noch rechtfertigte.
Der Verlag, bei dem Tascinis Marco Polo erschien, kündigte an, seine Spielereihe nicht weiter aufzulegen.
„Stereotypisierung ist ein großes Problem bei Spielen“, sagt Junge. Zuletzt habe man Mittelalterspiele unter die Lupe genommen: „Da sind Mönche immer dick und trinken Bier, es gibt edle Ritter und Prinzessinnen. Von der niedrigen Lebenserwartung, vom Brandschatzen und Morden sieht man weniger.“
Gab es in der Steinzeit Weiße?
Das „Kennerspiel des Jahres“ 2021 stolperte ebenfalls über Stereotype: Die Spieler befinden sich bei Paleo in der Steinzeit – dennoch sind alle Charaktere weiß. Die Spielemacher bessern nun nach, die nächste Auflage wird mit diversen Charakteren versehen.
Ein amüsanter Treppenwitz zum Abschluss: Angeblich hatte Monopoly – erfunden 1904 – eine andere Intention. Es sollte sich kritisch mit Kapitalismus auseinandersetzen. Daher gab es zwei Regelvarianten. Die zweite, die auf Gemeinwohl basierte, geriet rasch in Vergessenheit.
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