Auf der Intensivstation: "Habe um jeden Milliliter Luft gekämpft"
Heute gehe es ihr gut, versichert Andrea Amegah-Sakotnik. „Belastungstests, Lungenfunktion, das ist alles normal.“ Die 49-Jährige sitzt in ihrem Dienstzimmer am LKH Uni-Klinikum in Graz, wo sie seit 20 Jahren als Intensivmedizinerin und Anästhesistin tätig ist - und am Höhepunkt der dritten Welle als an Covid-19 Erkrankte selbst auf der Intensivstation lag. Neun Tage lang.
Die Ärztin kann sich an jeden Tag erinnern, da sie mittels spezieller Masken mit Sauerstoff versorgt und nicht intubiert wurde, in dem Fall wäre sie in künstlichen Tiefschlaf versetzt worden. Sie erinnert sich „voller Dankbarkeit“ an die Betreuung durch das Team der Intensivpflege. „Das ist Schwerstarbeit, auch emotional. Da wird so viel geleistet in der Pandemie, diese liebevolle Zuwendung der Intensivpflege ist so wichtig für die Patienten. Das war vorher nicht einmal mir als Intensivmedizinerin klar.“
Amegah-Sakotnik kann sich aber auch an die Nächte erinnern. „Auch an den harten Kampf in den ein, zwei Nächten, in denen ich selbst nicht geglaubt habe, dass es sich ausgehen wird.“
Sie konnte kaum atmen, hörte das Wasser in ihrer Lunge. „Dieses Gefühl, nicht durchatmen zu können, das ist kaum zu beschreiben“, sagt die Oberärztin und versucht es dennoch. „Ich habe um jeden Milliliter Luft gekämpft.“ Das müsse man sich vorstellen wie bei einem Marathon, dort zähle jeder Kilometer weiter, hier jeder Milliliter Sauerstoff mehr.
Die Grazerin dürfte sich im privaten Umfeld angesteckt haben, trotz aller Vorsicht, die sie schon seit März 2020 walten ließ. „Ich bin Intensivmedizinerin und weiß, wovor ich mich fürchte. Ich habe von Beginn an sehr großen Respekt vor diesem Virus gehabt, wie hilflos es macht.“ Am 11. November zeigte sie Symptome, am 13. November kam der positive PCR-Test. „Ich habe alles gehabt, das man von Covid kennt, sieben Tage hohes Fieber mit meistens mehr als 39 Grad, Kopfschmerzen, Gelenksschmerzen, Übelkeit, Geruchsverlust. Dieses Virus hat von meinem ganzen Körper Besitz ergriffen, von der Haarspitze bis zu den Zehen.“
"Ich will noch nicht sterben"
Nachdem sie zu Hause beinahe kollabiert wäre, ließ sich die zweifache Mutter in das Spital einliefern. Zu dem Zeitpunkt war sie nahezu völlig dehydriert. Zwei Tage später versagte ihre Lunge, da lag die 49-Jährige bereits auf der Intensivstation. „Es war ein harter Kampf“, beschreibt Amegah-Sakotnik die Zeit als Patientin im Krankenhaus. „Die Station war damals voll. Der Großteil der Patienten, die mit mir dort waren, ist gestorben.“ Da sei ihr selbst sehr viel durch den Kopf gegangen. „Meine Motivation war, meine Kinder weiter durchs Leben begleiten zu können. Ich habe gedacht, ich will jetzt noch nicht sterben.“
Vier Wochen nach der Entlassung als Patientin aus der Intensivstation kehrte die 49-Jährige als Ärztin an den Arbeitsplatz zurück. Im Frühjahr, als es erstmals die Chance auf eine Corona-Schutzimpfung gab, ließ sie sich auf der Stelle impfen. „Aus der Situation heraus, als Ärztin und als Patientin, ist es mir nicht verständlich, dass man sich nicht impfen lässt“, sagt die Grazerin. „Ich verurteile niemanden, der es nicht macht. Aber ich finde da einfach keinen Weg in meinen Kopf, um das zu verstehen.“
Freilich, auch Immunisierte können sich infizieren, weiß die Ärztin. „Aber die Chance, auf einer Intensivstation zu landen, ist mit der Impfung marginal. Fakt ist, bei uns liegen derzeit nur Ungeimpfte auf der Intensivstation.“
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