Pasterze mit drittgrößtem Rückzug der vergangenen 140 Jahre
Es gibt einige positive Aspekte im Gletscherbericht 2018/19 des Österreichischen Alpenvereins. Sie können über die allgemeine Tendenz aber nicht hinwegtäuschen: „Die schon seit Jahrzehnten andauernde Rückzugstendenz der Gletscher wurde keinesfalls gebremst“, erklärt Gerhard Lieb, Leiter des Alpenverein-Gletschermessdienstes.
14,3 Meter verloren die Gletscher im Durchschnitt an Länge. Von 92 beobachteten Gletschern verzeichneten 86 Rückgänge. Fünf wiesen keine nennenswerte Veränderung auf und einer verzeichnete sogar einen Vorstoß. Diese Zahlen sind merklich besser als in den vergangenen beiden Jahren, das ist aber auch schon das einzig Positive am aktuellen Bericht.
In den vergangenen beiden Jahren waren die Längenverluste mit minus 17,2 Metern (2017/18) und minus 25,2 Metern (2016/17) noch größer gewesen. Auch die Zahl der stationären und wachsenden Gletscher war im vergangenen Jahr größer als zuletzt.
Beim einzigen vorstoßenden Gletscher führte allerdings der Zufall Regie: Das Maurerkees in der Glocknergruppe südwestlich des Kitzsteinhorns in Salzburg wurde um 2,2 Meter länger. „Dort fand auch nicht wirklich ein aktives Vorstoßen der Eismassen statt – es wurde mehr ein 'nach vorne Kippen' des Eisrandes im Rahmen einer Rückzugstendenz dokumentiert“, sagt Lieb.
Eingefallenes Aussehen
Auch optisch lässt sich die schlechte Verfassung der heimischen Gletscher beobachten. „Die Gletscher wirken eingefallen, man sieht es ihnen vielfach an, dass sie gletscherkundlich gesehen schlecht ernährt werden“, erklärt Lieb.
Einzelne Gletscher lieferten auch im vergangenen Jahr erschreckende Zahlen. So etwa die Pasterze am Großglockner, Österreichs wahrscheinlich berühmtester Gletscher. Sie zog sich um etwa 60 Meter zurück. „Das stellt den dritthöchsten Wert in der gesamten, rund 140-jährigen Messgeschichte dar“, sagt Andreas Kellerer-Pirklbauer, Geograf an der Universität Graz. Drei andere Gletscher in drei verschiedenen Regionen verloren sogar jeweils mehr als 80 Meter an Länge.
In den Ergebnissen spiegeln sich auch direkt die Wetterverhältnisse des vergangenen Jahres wieder. Auffällig ist etwa, dass sich alle stationären und der wachsende Gletscher in den Hohen Tauern befinden. „Das ist ein Signal dafür, dass die Bedingungen im Osten der österreichischen Alpen etwas gletschergünstiger waren, als das im Westen der Fall war“, sagt Lieb.
„Ungünstige Bedingungen“
Insgesamt waren die Temperaturen aber auch im Hochgebirge wieder einmal überdurchschnittlich – im Jahresschnitt war es 1,1 Grad zu warm. Nur der Jänner und Mai des Vorjahrs waren kälter als der langjährige Durchschnitt. „Dieses Jahr reiht sich nahtlos in eine lang anhaltende Periode von außerordentlich gletscherungünstigen Bedingungen ein“, erklärt der Gletscherforscher.
Angesichts der Einschränkungen durch das Coronavirus sei der Wert der Gletscher auf einmal wieder besser sichtbar, glaubt Alpenvereins-Vizepräsidentin Ingrid Hayek. Wie für viele andere Dinge gelte: „Für das rein physische Überleben brauchen wir das alles nicht. Wie man sieht, reichen Klopapier, Nahrungsmittel, Jogginghose und Social Media dafür.“
Die Berge würden aber gerade jetzt Sehnsüchte wecken. „Das sogenannte Überflüssige, das vermissen wir jetzt plötzlich“, sagt Hayek. Deshalb brauche es für den Menschen auch die Gletscher. Denn ohne sie würden auf den Bergen nur „öde Gesteinswüsten“ bleiben.
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