"Oh mein Gott, ich bin abhängig"
Es lag einfach am Tisch. Die Freunde haben es gemacht, also wollte es Eva*, 16, endlich auch einmal tun. „Falsche Freunde waren das“, sagt sie heute. Damals sah sie das anders. Den einen oder anderen Joint hat sie vorher schon einmal geraucht, ja, auch Alkohol trank sie. Aber an diesem Tag wollte sie Heroin probieren. Erst ein Mal zum Probieren. Dann folgte ein zweites Mal und schließlich war es täglich. Und am Ende auch mehrfach täglich.
Warum und wieso? Das lässt sich heute nicht mehr genau klären. „Man braucht kein Warum, wenn man Heroin hat“, heißt es in dem bekannten Drogenfilm Trainspotting.
So ähnlich war das bei Eva. Denn nichts schien auf eine Drogenkarriere hinzudeuten. „Ich hatte immer einen Job in der Gastronomie und habe eine ganz normale Familie“, berichtet Eva.
Die Zeit damals ist ohnehin verwischt und das Wort Heroin aus ihrem Wortschatz verschwunden. Es ist einfach nur „das“. Sie hat es geraucht, aber niemals gespritzt. Das sagt Eva heute. „Drei Monate ging das mit dem Rauchen“, erzählt sie. Tatsächlich war es wohl etwa ein Jahr. Als sie einmal nichts rauchte, kamen die Entzugserscheinungen. „Es fühlt sich an wie eine Grippe. Alles tut weh. Man ist aufgekratzt“, sagt sie. „Ich hab mich zwei Wochen krankschreiben lassen, weil es mir wirklich schlecht ging. Und dann wurde mir plötzlich klar: Oh mein Gott, jetzt bin ich abhängig.“
Dann halfen ausgerechnet die Junkie-Freunde mit Substitol aus. Das ist jenes retardierende Morphin, das derzeit für heftige Diskussionen sorgt (siehe unten). Irgendwann ging Eva zu einem Substitutionsarzt. „Der wollte mich auf Substitol weiterschreiben“, erzählt sie. „Da war ich nur irgendein Patient.“
Dass der Arzt eigentlich Methadon (oder Subutex) verschreiben muss und nur bei Unverträglichkeit das umstrittene Substitol verordnet werden darf, wusste sie nicht. Doch Evas erste Woche auf Entzug war ohnehin eine Tortur. „Man stellt sich pausenlos die Frage, wo bekommt man das Substitol. Man kann nichts machen. Ich war heiß duschen und wollte mich in irgendeinen K.-o.-Zustand bringen. Ich wollte das kriminelle Handeln vergessen.“
Als kriminell bezeichnet Eva, dass sie zu Drogen gegriffen hatte. „Geld dafür hatte ich ja durch die Arbeit.“
„Da muss man reden“
Etwas später wurde sie auf den Verein Dialog aufmerksam. Dieser führt die größte ambulante Suchthilfeeinrichtung Österreichs mit fünf Standorten in Wien und betreut tausend Abhängige pro Jahr. „Beim Arzt war ich irgendein Patient, hier muss man reden“, berichtet sie. Das sei am Anfang nicht leicht, aber schließlich notwendig, um den Entzug zu schaffen.
Sieben Jahre sind seit dem Entzug vergangen. Heute nimmt Eva noch immer Subutex. Allerdings bereits in der geringsten Dosis.
„Ich führe ein normales Leben. Nur meine Familie und mein Freund wissen davon“, sagt Eva. Ihr Chef, ihre neuen Freunde wissen nicht, dass sie täglich eine Tablette zu sich nehmen muss. Sie hofft, eines Tages ganz ohne dem Drogenersatzstoff auszukommen. Sie will zu den fünf Prozent gehören, die den Ausstieg ganz schaffen.
*Name geändert
Haartest bei Drogenverdacht ja oder nein? Substitution mit Methadon oder auch mit den umstrittenen Morphinen? Seit der KURIER über den Start des Pilotprojektes Haartest bei Drogenverdacht berichtet hat, gehen die Wogen hoch.
In Wien werden bereits seit zwei Jahren Haare vom Amtsarzt untersucht, wenn es um Drogenverdacht geht. Künftig soll das in einer weiteren Stadt in Österreich und bis zu drei ländlichen Bezirken möglich sein, hofft man im Innenministerium. Die genauen Haartests sind zwar noch sehr teuer. „Aber bei der DNA hat das zu Beginn auch das Zwanzigfache gekostet, das wird billiger werden“, sagt General Franz Lang vom Bundeskriminalamt.
In den Fokus sind aber nun vor allem die Ersatzmittel gerückt, gegen die auch Innenministerin Johanna Mikl-Leitner wettert. Diese sind in Expertenkreisen umstritten. Die Ersatzstoffe geraten leicht in die Szene. Die Tabletten werden aufgelöst und gespritzt – was mitunter tödlich endet. Die Ersatzstoffe werden somit zu Einstiegsdrogen. Die WHO empfiehlt Methadon als erste Wahl, nur in Österreich werden Morphine im großen Stil eingesetzt. Vereinzelt greifen sonst nur Ärzte in Bulgarien und Slowenien darauf zurück. Befürworter meinen, dass manche Patienten wieder in die Szene abrutschen ohne Substitol und es sei wichtig, dass Mediziner eine breite Palette an Gegenmitteln zur Verfügung haben.
Im Hintergrund geht es um viel Geld. 26 Millionen Euro zahlten die Krankenkassen im Jahr 2011 für Ersatzstoffe, so viel wie nie zuvor. 88 Prozent gingen an die Hersteller der Morphine – dabei sollten diese laut Gesetz nur in Ausnahmefällen verabreicht werden.
Kommende Woche startet eine Initiative, die gegen den Missbrauch von Substitutions-Medikamenten kämpft – mit dabei: Ex-Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky, Anwalt Georg Zanger und die Mutter eines Drogenopfers. Informationen dazu gibt es im Internet: www.therapiestattsucht.at
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