Österreichs größter Gletscher: „Klimawandel nirgendwo direkter spürbar“

Österreichs größter Gletscher: „Klimawandel nirgendwo direkter spürbar“
Die Pasterze, der größte Gletscher Österreichs, verschwindet. Der oberste Gletschermesser des Landes, Gerhard Lieb, über Versäumnisse.

Ein Gespräch mit Gletscherexperten Gerhard Lieb läuft in etwa so: „Da vorne sehen‘S die Eisbergerl, dann die Art Halbinsel und oben den Schutthang und rechts davon ist ein schwarzer Strich: Das ist das unterste Ende des Gletschereises“, erklärt der Experte vom Institut für Geografie und Raumforschung der Uni Graz, als man ihn auf der 2.369 Meter hohen Franz-Josefs-Höhe trifft.

15 Meter Rückgang

Die Blicke der Touristen in kurzen Hosen sind auf den Großglockner gerichtet. Lieb, in Bergsteigermontur, blickt auf die Pasterze – Österreichs größten Gletscher, der immer mehr verschwindet. Im Auftrag des Alpenvereins weilen der 61-Jährige und sein Team für die jährlichen Gletschermessungen am Fuße des Glockners. 15 Meter schrumpften Österreichs Gletscher allein bei der letzten Messung. Sentimental dürfe man bei dieser Entwicklung nicht sein, sagt der Experte trocken. „In meinen Zwanzigern hätte ich bei diesen Messergebnissen weinen können. Nun denke ich mir: Würden die Gletscher nicht schmelzen, würde sich keiner für die Gletscher interessieren“, erzählt Lieb der gemeinsam mit Andreas Kellerer-Pirklbauer oberster Gletschervermesser des Landes ist. Ihre Ergebnisse dürften jenen des Vorjahres ähneln. Der Gletscher als Verlierer.

Wird hier der Klimawandel noch greifbarer? „Ja, ganz sicher. Man spürt den Klimawandel nirgendwo direkter als bei einem Gletscher. Alles andere ist indirekt. Bei Gletschern verdeutlichen zwei Bilder, aufgenommen zu unterschiedlichen Zeitpunkten, auf drastische Weise den kontinuierlichen Rückgang.“ Mit diesen Methoden arbeiten auch die Gletschermesser: Bildern und der Vermessung der Längenänderungen der Gletscher.

Die Arbeit
der Gletscherforscher besteht unter anderem aus der Ermittlung der Längenänderung der Gletscher. Mithilfe eines Maßbandes und Kompasses. Eine Methode, deren Einfachheit Daten zurückführend bis zum Jahr 1890 liefert.

5 Meter verliert
die Gletscherzunge der Pasterze jährlich bei der sogenannten Mächtigkeitsänderung. Dabei handelt es sich um Querprofile, die verdeutlichen, wie sehr der Gletscher eingesunken ist. Die Messungen der rund 90 Gletscher werden jährlich im Gletscherbericht des Alpenvereins zusammengefasst. 
www.alpenverein.at
 

Die Pasterze begleitet Glaziologen Lieb seit Jahrzehnten, hat er eine besondere Beziehung zu ihr? „Das Besondere ist das Landschaftsensemble. Wir sehen vor uns den höchsten Berg Österreichs, den größten Gletscher und die Großglockner Hochalpenstraße. Das ist schon fast ein identitätsstiftender Blick für einen Österreicher“, sagt Lieb fast sentimental, um dann wieder zum Wissenschafter zu werden: „Außerdem spielt die Pasterze alles mit, was so ein Gletscher im Klimawandel zu bieten hat. Sie wird kleiner, zerfällt und hat eine Seenbildung.“

Österreichs größter Gletscher: „Klimawandel nirgendwo direkter spürbar“

Glaziologe Gerhard Lieb

Aufzuhalten sei die Gletscherschmelze unmittelbar nicht. „Man kann sich nur überlegen, was uns der Gletscherschwund zeigt. Das sind die Versäumnisse in der globalen Klimapolitik. Wir könnten nun sagen, dass wir in der Politik durchstarten. Gerade die letzten 1,5 Jahre haben verdeutlicht, dass die Politik, wenn sie ambitioniert ist, sehr viel bewegen kann“, erklärt Lieb.

Schutt schützt Eis

Dann wendet er sich wieder dem Gletscher zu: „Sehen‘S die horizontalen Strukturen? Das ist von Schutt bedecktes Eis. Die Gletscherzunge bekommt aber fast keinen Eis-Nachschub mehr. Darum wird sie irgendwann an Ort und Stelle einfach zusammenschmelzen“, erklärt er.

Wann dies so soweit sein wird? „Wir rechnen in zehn Jahren mit dem Ende des Eisnachschubs “, sagt Lieb. Und nach einer Pause, ganz ohne Sentimentalität: „Maximal“.

Mitarbeit Hannes Wallner

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