Der Gegensatz könnte größer nicht sein: Überlastete Behörden, die mit dem Abarbeiten von Tests nicht nachkommen auf der einen Seite. Auf der anderen dünn besiedelte Alpentäler, in die sich kaum ein Corona-Infizierter verirrt. Es sind vor allem die Großstädte (in Österreich allen voran Wien), die von der aktuellen Pandemie vor besonders große Herausforderungen gestellt werden.
Dank seiner hohen Zahl an Intensivbetten sei Österreich medizinisch insgesamt gut auf die Pandemie vorbereitet gewesen. Das schreiben die beiden Ökonomen Maria Hofmarcher und Christopher Singhuber in ihrem aktuellen „Fact Book Leistungskraft regionaler Gesundheitssysteme“ (abrufbar unter www.healthsystemintelligence.eu).
Dieses liefert abseits von Corona zum Teil überraschende Erkenntnisse aus den einzelnen Bundesländern. Einige markante Beispiele:
Wiener Paradox
Mehr Arbeitslose, Armutsgefährdete und Raucher – auch in Wien sei der sogenannte Großstadtfaktor, der sich negativ auf die Gesundheit auswirkt, stark ausgeprägt, schildert Hofmarcher. Trotzdem sei die vermeidbare Sterblichkeit vor dem 75. Lebensjahr im Österreich-Schnitt und geringer als etwa in Vorarlberg. „Das hat mit einem sehr guten Gesundheitssystem zu tun, das einen Ausgleich schafft“, schildert die Expertin. Das gelte vor allem für die Spitäler.
Ein solches System habe seinen Preis: In keinem anderen Bundesland sind die Gesundheitsausgaben pro Kopf so hoch. Würde mehr Geld in Prävention fließen, könnten häufige Arztbesuche und ressourcenintensive Spitalbehandlungen vermieden werden. Eine weitere Schwäche: In Wien ist in den vergangenen Jahren die Zahl der Hausärzte pro 100.000 Einwohner deutlich unter das Niveau von Gesamtösterreich gesunken. Dafür boomen Wahlärzte. Ärmere Menschen können sich diese nicht leisten.
Kärntner Sparzwang
Nach dem Hypo-Desaster wurde im südlichsten Bundesland der Rotstift rigoros angesetzt – und zwar auch im Gesundheitssystem. „Kärnten spart im System, das hinterlässt Spuren“, lautet das nüchterne und etwas beunruhigende Fazit der beiden Ökonomen. Die Zahl der vermeidbaren Todesfälle sei hier besonders hoch, obwohl die Kärntner mit ihrer Lebensweise kein großes gesundheitliches Risiko eingehen. Explizit nennt die Studie die Finanzierung als mögliche Erklärung.
Dafür würde noch ein weiteres Indiz sprechen: „Der Anteil der privaten Ausgaben an den Gesamtausgaben ist eher hoch. Das ist untypisch für eines der ärmeren Bundesländer.“
OÖ: Spitalslastig, aber gut
„Ambulant vor stationär“ – so lautet die fast gebetsmühlenartig vorgebrachte Forderung, wenn es darum geht, das Gesundheitssystem effizient zu machen. Die Idee dahinter: Die Patienten lassen sich in Ordinationen oder Ärztezentren deutlich kostengünstiger versorgen als in der teureren Spitalsinfrastruktur. Das Beispiel Oberösterreich zeigt allerdings, dass das nicht unbedingt so sein muss: „Ein großer Teil der (fachärztlichen) Versorgung wird über die Spitäler abgewickelt“, haben die Autoren erhoben. Trotzdem: „Das System Oberösterreich funktioniert. Beste Versorgungsqualität trifft hier auf höchste Effizienz.“ Die Zahl der vermeidbaren Todesfälle ist bundesweit am niedrigsten, niedrig sind aber auch die Kosten. „Es spricht also nichts dagegen, Fachärzte in einer vorhandenen Spitalsinfrastruktur anzusiedeln“, sagt Hofmarcher. „Das Prinzip ‚best point of service‘ ist wichtiger als die Devise ‚ambulant statt stationär‘“.
Vorarlberg: Teures System
Im Zusammenhang mit der Gesundheit der Österreicher ist oft von einem Ost-West-Gefälle die Rede, wobei der Westen deutlich besser abschneidet. Für Vorarlberg trifft dieser Befund jedoch nur bedingt zu: Das Land verzeichnet eine relativ hohe Zahl an vermeidbaren Todesfällen an Krebs und Atemwegserkrankungen. Dies erfordere eine genaue Bestimmung der Ursachen, so die Studienautoren. Relativ hoch pro Kopf sind in Vorarlberg auch die Gesundheitsausgaben. Nur Wien kommt auf einen höheren Wert. Der Grund sind unter anderem relativ hohe Arztgehälter – offenbar als Kompensation dafür, dass das Bundesland für Mediziner offenbar nicht besonders attraktiv ist.
Sorgenkind Burgenland
In keinem anderen Bundesland ist die Lebenserwartung bei guter Gesundheit so niedrig wie im Burgenland. Ein Hinweis darauf, dass viele Menschen an chronischen Krankheiten leiden. Auslöser sind laut Studie schlechtere Lebensumstände, aber auch Mängel in der Versorgung. Beim Thema Übergewicht ist das Land österreichweit negativer Spitzenreiter. Hier wären bessere präventive Maßnahmen erforderlich. Auch bei den Kassenärzten pro 100.000 Einwohner ist man Schlusslicht. In der ambulanten Versorgung (z. B. MRT-Untersuchungen) sind die Wartezeiten sehr lang, bemängelt die Studie.
Allen Bundesländern gemein ist laut Hofmarcher, dass sie auf die wachsende Zahl chronisch kranker Älterer reagieren müssen. „Hier sind wir nicht optimal versorgt“. Dies habe mit den zersplitterten Zuständigkeiten und Finanzierungsströmen zu tun. Ein Problem, das von Experten bereits seit Jahrzehnten kritisiert wird. Hofmarcher plädiert daher für einen gemeinsamen Finanzierungstopf für die ambulante Versorgung, wobei regional entschieden werden soll, wie diese gestaltet wird.
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