ÖBB schließen Reservierungspflicht erstmals nicht mehr aus
Bahnfahren boomt. Ob in Innsbruck, Salzburg oder Wien; ob bei Gesprächen mit Freunden und Kollegen oder einem Blick in die sozialen Medien: Immer häufiger hört man von überfüllten Fernverkehrszügen oder gar Aufforderungen, Passagiere ohne Reservierung und Sitzplatz mögen aussteigen, andernfalls werde die Reise nicht fortgesetzt.
Die ÖBB bestätigen den Eindruck. Seit dem Osterwochenende liegt die Auslastung im Fernverkehr bereits einige Prozent über jener aus dem Rekordjahr 2019 (insgesamt 477 Millionen Fahrgäste). Im Nahverkehr liegen die Zahlen aufgrund des nach wie vor teilweise gebliebenen Homeoffices noch unter dem Niveau von 2019. Aufgrund der anhaltend hohen Spritpreise wird aber auch hier in nächster Zukunft eine weitere Zunahme erwartet.
"In der jetzigen Situation gibt es keine Denkverbote, wie man die Situation für alle bestmöglich gestaltet“
Was auf den ersten Blick erfreulich scheint, nämlich die gesteigerte Nachfrage nach dem umwelt- und klimafreundlichen Verkehrsmittel Bahn, birgt auch Probleme. Nicht nur kurzfristig für diejenigen, die im überfüllten Zug sitzen oder stehen. Mittelfristig frustriert man so die Fahrgäste. Und wird sich in weiterer Folge schwertun, die notwendige Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene zu schaffen.
ÖBB: Genügend Kapazitäten
Wobei die ÖBB kalmieren. Dass Passagiere ohne Reservierung aus dem Zug gebeten werden, komme nur im Einzelfall vor, sagt Sprecher Bernhard Rieder. Selbst am reisestarken Osterwochenende hätte das nur 0,3 Prozent der Fernzüge betroffen. Und: „Ehrlicherweise muss man auch sagen, dass es mehr ein Lenkungsthema als ein Kapazitätsthema ist. Auch die Tangente ist am Freitagnachmittag immer zu, egal wie viele Spuren man baut.“
Über den ganzen Tag verteilt gebe es auf allen Strecken mehr als genug freie Plätze, sagt auch Christian Gratzer vom Verkehrsclub Österreich (VCÖ): „Man darf den Leuten nicht das Gefühl geben, jeder Zug ist voll.“
Keine Denkverbote mehr
Dennoch sind sich die ÖBB des Problems bewusst – und schließen nun Systemänderungen nicht mehr aus. Hielt man bisher etwa eisern daran fest, die Fahrgäste auch weiterhin nicht zu Reservierungen zwingen zu wollen, gibt es jetzt keine Denkverbote mehr. „Wir schauen uns alle Möglichkeiten an“, sagt Rieder.
So wurden in letzter Zeit verschiedene internationale Modelle analysiert sowie die eigenen Fahrgäste zum Thema Reservierungen befragt. In den nächsten Wochen werde alles zusammengeführt und dann entschieden, wie es weitergeht. Von einer Reservierungspflicht bis zu Maßnahmen, um Kurzstreckenreisende von Fern- in Nahverkehrszüge zu bringen und dadurch Kapazitäten freizumachen, liegen alle Optionen auf dem Tisch.
Ohne Klimaticket
Ist eine Reservierung bei der privaten Westbahn grundsätzlich kostenlos, kostet sie bei den Österreichischen Bundesbahnen pro Person drei Euro pro Strecke. Das soll auch so bleiben. Die Befürchtung: Würde man sie kostenfrei anbieten, würden Menschen mehrere Züge an einem Tag reservieren, um sich alle Optionen offenzuhalten – und dadurch die Kapazitäten verfälschen
Mit Klimaticket
Inhaberinnen und Inhaber eines Klimatickets können bei den ÖBB günstigere Reservierungsabos kaufen und dann einzeln verwenden. 20 Reservierungen für die 2. Klasse kosten 48 Euro, 50 Stück 90 Euro und das Paket mit 100 Reservierungen 120 Euro – eine Strecke kostet dann nur mehr 1,20 Euro
Mehr Echtzeitinfo
Was auf jeden Fall kommen soll, ist ein Ausbau der Echtzeitinformationen, etwa gezielte Hinweise auf Alternativzüge mit niedriger Auslastung. In diesem Bereich sieht auch VCÖ-Sprecher Gratzer viel Potenzial. Er fordert zudem zusätzliche Verbindungen an allen Wochenenden. „Wir wissen, dass es Materialkapazitäten gibt“, sagt er.
10.000 Sitzplätze beträgt in etwa die strategische Reserve der ÖBB für besonders starke Reisetage. Die sind auch am kommenden, langen Wochenende zur Gänze im Einsatz. Mehr ist aus Kostengründen nicht drin. „Jeder Zug kostet viel Geld und muss im Einsatz sein“, sagt Rieder.
Zumindest auf der Weststrecke sollte sich die Situation ab 12. Juni grundsätzlich etwas entspannen, fährt die private Westbahn dann doch wieder im 30-Minuten-Takt von Wien nach Salzburg. Aufgrund der hohen Kapazität der eingesetzten Doppelstockgarnituren sei auch eine Zugräumung „seit der Betriebsaufnahme im Jahr 2011 noch nie erfolgt“, stellt der ÖBB-Konkurrent in einer Aussendung süffisant fest.
Auf der Südstrecke sowie generell an starken Reisewochenenden bleibt hingegen nur die Reservierung. Auch, wenn sie (derzeit) noch nicht verpflichtend ist.
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