Neuer Verfassungsschutz-Chef: "Die Bevölkerung muss wieder wissen, wozu es uns gibt"
Aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ist die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) geworden. Der neue Direktor, Omar Haijawi-Pirchner, im KURIER-Interview über die Fehler der Vergangenheit, was auf die Landesämter für Verfassungsschutz zukommt, den Vertrauensverlust ausländischer Dienste und wie motiviert Mitarbeiter sind, die in einer Behörde arbeiten, die niemand mehr ernst nimmt.
Sie übernehmen eine skandalgebeutelte Behörde: rechtswidrige Hausdurchsuchung, der Vorwurf des Amtsmissbrauchs, ein Terrorist, der vor den Augen des Verfassungsschutzes Munition für einen Anschlag kaufen wollte…Wie oft haben Sie sich gefragt, ob Sie sich den Job als Direktor wirklich antun wollen?
Omar Haijawi-Pirchner: Ich habe nicht lange überlegen müssen. Für mich war von Anfang an klar: Die Sicherheit der Republik geht vor. Wir haben die letzten Monate intensiv am Reformprozess der DSN gearbeitet und wissen, was wir zukünftig besser machen müssen.
Sie waren beim Reformprozess von Anfang an mit im Boot. Ist der Neustart wirklich gelungen?
Definitiv. Vor allem durch die Trennung des Nachrichtendienstes vom Staatsschutz, ist es zukünftig ausgeschlossen, dass ein und dieselbe Person beide Tätigkeiten vollzieht. Dadurch gibt es eine klare Trennung und mit unserem gemeinsamen Informations- und Lagezentrum zur Vernetzung der Informationen und zur Weitergabe an die Landespolizeidirektionen, ist die Reform nach internationalen Maßstäben geglückt.
Sie haben das zentrale Element des neuen Verfassungsschutzes angesprochen: Die Trennung der Bereiche Staatsschutz/Ermittlungen und Nachrichtendienste/Analyse. Welche Vorteile bringt dieser Schritt im Alltag?
Der Nachrichtendienst ist im Vorfeld tätig, er betreibt die Gefahrenerforschung im Sinne eines Frühwarnsystems für die Republik. Durch frühzeitige Gefahrenerforschung soll frühzeitige Prävention ermöglicht werden. Es geht hier um das Frühwarnsystem für die politischen Entscheidungsträger. Um zu erkennen, was keimt auf, was könnten wir nun tun, um diesen Phänomenen entgegenwirken zu können.
Und der Staatsschutz?
Hier geht es um Gefahrenabwehr. Wenn die Gefahr intensiver und greifbarer ist, wird alles unternommen, um sie weitestgehend ausschließen zu können. Ebenso im Fokus steht die Strafermittlungsarbeit gemeinsam mit den Justizbehörden. Und um diese beiden Komponenten zu vernetzen, sind wir wieder beim gemeinsamen Informations- und Lagezentrum. Welches der Kanal in die DSN und nach außen ist.
Isoliert man sich dadurch nicht vom Rest der Polizei?
Nein. Wir müssen uns breit vernetzen. Unsere Stakeholder sind in jedem Bereich zu suchen, auch im Innenministerium.
Mehr Vernetzung, mehr Kommunikation: Dinge, die beim Terroranschlag in Wien, wo es zu schweren Mängeln des Verfassungsschutzes im Vorfeld des Attentats kam, passiert sind. Schließen Sie durch die neue Struktur solche Fehler künftig aus?
Man kann einen Terroranschlag nie zu 100 Prozent ausschließen. Weil Terror in Europa aktuell nicht unbedingt von Zellen gesteuert wird, sondern in erster Linie von radikalisierten Einzeltätern ausgeht. Das macht es im Vorfeld umso schwieriger einen Terroranschlag zu erkennen und zu verhindern. Aber wir haben mit der DSN ein umfangreiches Qualitätssicherungssystem eingeführt und wir planen die Vernetzung mit den Landespolizeidirektionen intensiv zu verbessern. Der Austausch hat gerade hier in der Vergangenheit nicht gut funktioniert.
Die Landesämter für Verfassungsschutz (LVTs) waren gefühlt ihren Landeshauptmännern bzw. ihrer Landeshauptfrau näher, als dem Verfassungsschutz-Chef. Wie soll es konkret mit den LVTs weitergehen?
Wir haben vor wenigen Wochen einen Reformprozess der LVTs, wie sie aktuell noch heißen, gestartet. In Zukunft wird es einen regen Austausch geben. Das ist garantiert.
Noch einmal: Wie sehen die Pläne konkret aus?
Wir sind mitten in einem Prozess. Man muss die LVTs an die DSN adaptieren. Noch sind sie an den alten Verfassungsschutz angepasst. Aber sie bleiben definitiv bestehen. Bis zum ersten Quartal 2022 soll das Projekt abgeschlossen sein.
Um diese Ziele erreichen zu können, braucht man eine motivierte Mannschaft. Ist dies der Fall?
Zum ersten möchten wir den Personalstand in den kommenden Jahren verdoppeln. Und wir setzen alles daran, um qualifiziertes Personal zu finden, was bedeutet, dass wir dreistufig rekrutieren. Wir verzeichnen momentan ein massives Interesse bei Studienabgängern an einem Job in unserem Haus. Und wir haben uns in den vergangenen Wochen intensiv mit der Wissenschaft vernetzt, damit wir zukünftig gemeinsam noch besser zusammenarbeiten können. Es gibt jedenfalls genug Personen, die Interesse haben.
Nach all den Vorkommnissen im heimischen Verfassungsschutz, ist das Vertrauen ausländischer Dienste schwer in Mitleidenschaft gezogen. Wie will man dieses wiederherstellen?
In den letzten Monaten gab es immer wieder einen gute Gespräche mit den internationalen Partnern, sowohl in der polizeilichen, als auch in der nachrichtendienstlichen Welt. Für das Modell des hybriden Dienstes, den wir mit Nachrichtendienst und Staatsschutz aufstellen, erfahren wir sehr viel Anerkennung und Unterstützung. Natürlich ist der Prozess, Vertrauen wiederaufzubauen und herzustellen, ein langer Prozess. Aber wir sind auf einem guten Weg.
Wie groß ist die Skepsis?
Das ist unterschiedlich. Es hat nicht ein Ereignis dazu beigetragen, dass wir das Vertrauen verloren haben. Das hängt vom jeweiligen Partner ab. Wir sind vom Informationsfluss nicht ausgeschlossen, was essentiell für die Sicherheit Österreichs ist. Wir müssen die nächsten Monate und Jahre daran arbeiten, dieses Vertrauen wiederaufzubauen. Genauso gilt es, das Vertrauen der Öffentlichkeit in Österreich wiederaufzubauen. Ich sehe es als meine vordergründige Aufgabe, dass die Bevölkerung wieder weiß, wozu es einen Verfassungsschutz gibt.
Wozu?
Weil die Bedrohungen wirklich vorhanden sind und es etwa gerade im Bereich Rechtsextremismus demokratiegefährdend werden kann.
Was sind aktuell die größten Bedrohungen für das Land?
Wir sehen gerade im Rechtsextremismusbereich, dass die Verunsicherung in der Bevölkerung, die durch die Pandemie ausgelöst wird, ausgenützt wird, um Verunsicherte für die eigene Ideologie zu gewinnen. Und wir verschieben unsere Aufmerksamkeit in diese Richtung.
Würden Sie es als Vor- oder Nachteil einstufen, dass sie nicht aus den Reihen des Verfassungsschutzes kommen?
Das ist Ansichtssache. Für mich als Direktor ist es wichtig, Führungsqualitäten aufzuweisen. Und diese Erfarhrung habe ich. Gerade große Reformen haben in der Vergangenheit bewiesen, dass ich das nötige Wissen im Change-Management mitbringe. Es gilt wieder Führungskultur im Haus zu etablieren und die Abteilungen zu vernetzen. Ich glaube, dass es in der Vergangenheit ein Koordinations- und Kommunikationsproblem gab.
Ist es wichtiger intern, oder extern zu kommunizieren?
Beides. Ich habe in meiner Zeit im Haus höchst kompetente Leute kennengelernt, für die es nicht einfach war. Wenn man täglich den Medien entnimmt, dass man in einer Organisation tätigt ist, die keiner mehr ernst nimmt und auf die jeder nur hinhaut, dann stellt man sich höchstwahrscheinlich die Sinnfrage. Aber genau diese hochmotivierten Leute tragen genau jetzt die Reform mit.
Ab welchem Zeitpunkt würden Sie sich als erfolgreichen Direktor der DSN bezeichnen?
Erfolgreich bin ich dann, wenn sich die Mitarbeiter jenen Aufgaben widmen können, für die sie da sind: die Republik zu schützen.
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