Verhängnisvolle Nacktbilder: Wenn Jugendliche zu "Tätern" werden
Die 15 Burschen im Alter von 14 bis 19 Jahren, die an diesem Freitag ihren letzten Termin beim Bewährungshilfeverein Neustart in Leoben, Steiermark, haben, sind nicht freiwillig gekommen. Die Alternative ist allerdings noch weniger erfreulich: Sie hätten eine Verurteilung und Eintragung als Sexualstraftäter.
Was sie angestellt haben? In Chats oder Sozialen Medien haben sie sexualisierte Bilder von Minderjährigen erhalten oder verschickt.
Der 17-jährige Daniel (Name von der Redaktion geändert, Anm.) ist einer von ihnen. „Ich war schon verwundert, dass ich deswegen verurteilt werden kann“, sagt der junge Mann und zupft an seiner Kappe. Er wäre nur in einer Gruppe gewesen, wo ein solches Foto aufgetaucht war. Dass er plötzlich Polizei und Staatsanwaltschaft am Hals hatte, war eine Überraschung für ihn.
"Bissl ungut“
Nun absolviert der Steirer seine letzten Stunden bei Neustart. Auch das sei nicht immer angenehm, schildert er: „Dass wir über das Thema Sexualität reden, ist ein bissl ungut.“
Zu Beginn habe er das Programm als „Gelaber“ empfunden, spricht er frei von der Seele. „Aber dann war es doch interessant. Ich hab’ erfahren, was erlaubt ist und wo Graubereiche sind.“ Etwa, was die Altersunterschiede bei Beziehungen angeht. Oder welche rechtlichen Rahmenbedingungen es gibt. „In der Schule war das nie ein Thema“, hält er fest.
Das hören Herbert Janusch, Leiter des Neustart-Standortes und seine Kolleginnen und Kollegen immer wieder. „Seit zwei, drei Jahren stellen wir auch fest, dass das immer öfter Thema ist.“
Der Paragraf 207a war früher als Kinderporno-Paragraf bekannt. Seit Dezember des vergangenen Jahres heißt es nun „bildliches sexualbezogenes Kindesmissbrauchsmaterial und bildliche sexualbezogene Darstellungen minderjähriger Personen“. Nach dem Fall Teichtmeister wurden auch die Strafhöhen nach oben korrigiert.
Hälfte der Beschuldigten sind minderjährig
Was dabei nicht bedacht wurde: Die Hälfte der Beschuldigten sind Minderjährige oder junge Erwachsene. „Da geht es nicht um Pädophile. Da wird zum Beispiel ein Nacktfoto der Ex-Freundin verschickt“, beschreibt Sozialarbeiterin Kerstin Memisevic. „Solche Klienten als Sexualstraftäter zu verurteilen, ist wie mit Kanonen auf Spatzen zu schießen“, meint Janusch.
Es war ein prominenter Fall, der für breite Empörung sorgte: Schauspieler Florian Teichtmeister war im September 2023 zu zwei Jahren bedingter Haft verurteilt worden, nachdem er unzählige Bilder von missbrauchten Kindern heruntergeladen, bearbeitet und mit geschmacklosen Kommentaren versehen hatte.
Was folgte, war eine emotionsgeladene Debatte um strengere Strafen. Denn dass Teichtmeister keinen Tag hinter Gittern verbringen musste, sorgte für Unverständnis. Seit Dezember 2023 werden Kindesmissbrauchsdarstellungen nun tatsächlich strenger bestraft.
Statt einem Jahr Haft drohen seither bis zu zwei Jahre Haft. Wenn es sich bei dem Bildmaterial um unmündige Minderjährige handelt, können drei Jahre Haft verhängt werden. Geht es beim Herstellen oder Anbieten um eine „Vielzahl“ von Missbrauchsdarstellungen (also 30 Bilder oder Videos), drohen sogar zehn Jahre Haft.
Schon vor dem Fall Teichtmeister wurde darum über entsprechende Betreuung solcher „Täter“ nachgedacht. Das Ergebnis: Das Programm „sicher.net § 207a“. 82 Jugendliche und junge Erwachsene wurden in den ersten fünf Monaten bereits zugewiesen, fast ausschließlich Burschen.
Sie haben entweder Bewährungshilfe auferlegt bekommen oder eine Diversion – haben sie das Programm absolviert, werden sie danach nicht als Sexualstraftäter vorgemerkt.
Ein halbes Jahr lang dauert das Programm, gearbeitet wird in Einzel- und Gruppenbetreuung. „Die Jugendlichen sind oft peinlich berührt. Sexualität ist ein Tabuthema“, schildert Sozialarbeiter Elvir Kujovic. „Wir reden ganz normal über Sexualität und Pornografie.
Thema soll nicht dämonisiert werden
Es gibt einfach keine Jugendlichen mehr, die keine Pornos konsumieren“, so Janusch. Man wolle das Thema nicht dämonisieren. „Aber es ist wichtig, herauszuarbeiten, was Realität und was Fiktion ist.“ Und so ganz nebenbei wird auch erklärt, dass Mädchen oder Frauen in der Regel wenig Freude mit Dickpicks (Fotos des männlichen Intimbereichs) haben. „Wir behandeln auch die Opferseite, sprechen über Rollenbilder“, beschreiben die Experten. Und daran, welche Regeln im Internet gelten.
Was hat Daniel im letzten halben Jahr gelernt?
„Ich schreibe zum Beispiel keine Kommentare mehr“, beschreibt er. Als er vor Kurzem einen Hasskommentar gesehen habe, habe er den Verfasser darauf aufmerksam gemacht. „Das ist strafbar“, weiß er jetzt.
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