Nacktfotos: Wie Kinder zu Straftätern werden

Eine 13-Jährige schickt Nacktbilder an ihren 15-jährigen Freund – allein durch den Besitz des Fotos macht er sich strafbar. Eine 14-Jährige erhält ein Penisbild von einem Gleichaltrigen, sie leitet das Foto an eine Freundin weiter – und auch sie macht sich vor dem Gesetz strafbar.
In der Debatte um Kinderpornografie und Missbrauchsdarstellungen von Minderjährigen geht ein entscheidender Aspekt unter: Viele Täter sind selbst minderjährig. Durch das Aufkommen von Messenger-Diensten – insbesondere Snapchat – hat das Versenden von pornografischen Inhalten unter Kindern und Jugendlichen zugenommen.
Das belegt auch die Statistik: Waren es 2012 noch 47 minderjährige Tatverdächtige, die wegen Paragraf 207a des Strafgesetzbuchs – also der pornografischen Darstellung Minderjähriger – angezeigt wurden, stieg die Zahl bis 2021 auf fast das 23-Fache auf 1.073 Fälle an.

Hälfte ist minderjährig
Die Entwicklung ist Teil eines langjährigen Trends, der sich auch in der Gesamtzahl der Anzeigen widerspiegelt: Gab es 2012 insgesamt noch 572 Anzeigen, waren es neun Jahre später bereits 1.921. Minderjährige machen mittlerweile fast die Hälfte aller Tatverdächtigen aus.
"Der einzige Zusammenhang zwischen jugendlichen Straftätern und pädophilen Sexualstraftätern ist der Paragraf, den sie sich teilen", sagt Christoph Koss, Jurist und Geschäftsführer beim Bewährungshilfeverein "Neustart".
Genau in dieser Definition sieht Koss ein Problem. "Das Gebiet der Sachverhalte, die unter diesen Paragrafen fallen, ist riesig. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen einem 14-Jährigen, der Nacktfotos weiterleitet, und einem pädophilen Erwachsenen, der per Live-Stream Anweisungen gibt, wie Kinder missbraucht werden sollen", erklärt der Jurist. Landen Jugendliche aber einmal in der Sexualstrafdatei, kann das Folgen für ihre Zukunft haben, etwa was die Jobsuche betrifft.
Gravierende Folgen haben derartige Aufnahmen freilich nicht nur für die Täter, sondern vor allem für die Opfer: "Wenn Jugendliche Bilder von sich an Freunde oder Partner schicken, passiert das im Vertrauen", sagt Hannes Kolar, Leiter des Psychologischen Dienstes der Kinder- und Jugendhilfe in Wien.
Teil der Jugendkultur
Bekommt das Opfer mit, dass die Fotos weitergeleitet werden, zum Beispiel in einer Chatgruppe an einer Schule, geht damit ein Kontrollverlust einher. "Die Betroffenen leben in ständigem Angstzustand", schildert Kolar.
Neu sei das Phänomen nicht. Kolar spricht im Zusammenhang viel eher von einem "Teil der heutigen Jugendkultur." "Wenn dann auch noch Cybermobbing dazukommt, führt die Angst für viele Opfer zu einer Ohnmacht, die in tragischen Fällen in einem Suizidversuch enden kann, wenn die Jugendlichen gar keinen anderen Ausweg mehr sehen. Denn was im Netz ist, bleibt für immer im Netz", sagt der Psychologe.

Die betroffenen Kinder und Jugendlichen schicken die Fotos in der Regel im Vertrauen an Freunde oder Partner.
Beim Blick auf den Anstieg der Fälle stellt sich auch die Frage: Warum fertigen Jugendliche Nacktfotos an und schicken diese weiter? "Die sexuelle Aufklärung findet heutzutage zu einem großen Teil über Soziale Medien statt. Schule und Elternhaus sollten da viel mehr Initiative zeigen und den Jugendlichen die Konsequenzen ihres Handelns aufzeigen", sagt Christoph Koss von "Neustart".
Strafen werden angepasst
Verbesserungsbedarf sieht er auch beim Strafrahmen. Die Bundesregierung wird – als Folge der Causa Teichtmeister – den Besitz, das Herstellen und das Verbreiten von Missbrauchsdarstellungen Minderjähriger strenger sanktionieren, das Gesetz ist in Ausarbeitung.
"Ich plädiere dafür, sich bei der Strafanhebung auf Erwachsene zu konzentrieren. Für Minderjährige braucht es Schutzaltersbestimmungen. Wenn der Altersunterschied zwischen Täter und Opfer bei maximal vier Jahren liegt, sollten Betroffene nicht strafrechtlich verfolgt werden."
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