"Mit Türkisch kommt man fast überall durch"

Türkische Händler, Restaurants und Dienstleister sind aus dem Straßenbild nicht mehr wegzudenken.
Austrotürken sind begehrte Kunden, ihre Erstsprache ist allgegenwärtig. Die Fahrprüfungsregelung wirkt daher willkürlich.

Die Ankündigung von Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ), türkischsprachige Führerscheinprüfungen abzuschaffen, sorgt unter Austrotürken bzw. türkischstämmigen Österreichern für Empörung. Auf sozialen Medien meinen viele, dass es dabei nicht um die Qualität der Tests und schon gar nicht um eine integrationsfördernde Maßnahme gehe, wie von freiheitlicher Seite behauptet wird – sondern schlicht um „billige Stimmungsmache auf Kosten einer Minderheit“.

Das Argument, der Wegfall der türkischen Prüfungsmöglichkeit stelle einen Anreiz dar, um die Deutschkenntnisse zu verbessern, sei an den Haaren herbeigezogen, meint etwa Politaktivist Sinan vom Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft – zumal Prüfungen in Englisch, Slowenisch und Kroatisch weiterhin möglich sind. „Die letzten beiden Sprachen sind klar – das steht so im Staatsvertrag. Aber warum in der Besatzungssprache Englisch? Das wird vor dem Höchstgericht nicht halten“, meint er.

"Mit Türkisch kommt man fast überall durch"

Politaktivist Sinan Ertugrul.

Das Verbot sei angesichts 3631 in türkischer Sprache abgelegter Prüfungen im Vorjahr bloß Schikane, an der Lebenswirklichkeit der etwa 300.000 türkischstämmigen Bewohner Österreichs ändere es aber wenig. Denn mit Türkisch komme man „eigentlich fast überall durch“. „Banken und Versicherungen werben ebenso mit ihrer türkischen Sprachkompetenz, wie etwa Apotheken“, sagt Ertugrul. „Man kann hier türkisch einkaufen, zum türkischen Frisör gehen und türkischsprachige Zeitungen lesen. Und in Ämtern oder Spitälern liegen ebenfalls türkische Informationsmaterialien auf.“

Sprachkompetenz

KURIER-Recherchen belegen das. Bei Amtswegen, im Bildungswesen, bei Lehrlings- oder auch Meisterprüfungen und am AMS bleibt die Amtssprache Deutsch zwar niemandem erspart, in fast allen anderen Lebensbereichen sind Serviceangebote auf Türkisch aber allgegenwärtig.

So bewerben nicht nur Banken, wie Raiffeisen oder Erste Bank/Sparkasse türkisch-(wie auch serbisch- oder kroatisch)sprachige Beratungsgespräche, sondern auch Versicherungen, wie die Wiener Städtische, die Arbeiterkammer oder der Gewerkschaftsbund (ÖGB). Wie berichtet, bietet die BAWAG sogar ein mit muslimischen Wertvorstellungen konform gehendes Girokonto an.

Bei Gebietskrankenkassen erhalten türkischsprachige Personen Informationen und Formulare in ihrer Erstsprache. Die Wirtschaftskammer bietet einen türkischsprachigen Gründerleitfaden an. Und die Stadt Wien hilft Zuwanderern mehrsprachig durch den Behördendschungel, beantwortet Fragen zu Gesundheits- und Schulsystem oder auch punkto Wohnungssuche.

Insbesondere in den Städten sind zudem türkische Restaurants, Imbissstände, Supermärkte, Fleischhauer oder Frisöre nicht mehr wegzudenken. Wobei es Menschen wie Ertugrul gibt, die das jeweilige Service nach der Qualität auswählen („Der Frisör muss gut sein – welche Sprache er spricht, ist mir egal.“). Und solche, die türkischsprachige Angebote prinzipiell vorziehen. „Manche fühlen sich in ihrer Erstsprache einfach sicherer“, bestätigt Arbeits- und Sozialrechtsexperte Azem Olcay vom ÖGB, der im Vorjahr 1469 Beratungsgespräche auf Türkisch führte.

"Mit Türkisch kommt man fast überall durch"

Arzt Turgay Taskiran.

Dieselbe Wahrnehmung hat auch Mediziner Turgay Taskiran, einer von neun türkischsprachigen Kassenärzten in Wien. Etwa 70 Prozent der Patienten in seiner Simmeringer Praxis suchen den praktischen Arzt wegen seiner Sprachkompetenz auf. „Dass ich Türkisch spreche, schafft gerade älteren Menschen gegenüber ein ganz anderes Vertrauensverhältnis.“

Bei einem KURIER-Lokalaugenschein bei türkischstämmigen Unternehmern in Wien zeigt übrigens auch niemand Verständnis für Hofers Türkisch-Verbot in der Fahrschule. „Stopp und Vorranggeben bedeuten überall dasselbe. Wenn man eine Sprache versteht, sollte man in dieser die Prüfung machen, es geht beim Fahren um die Sicherheit“, meint etwa ein Kunde in einem Frisörsalon.

 

Mitarbeit: Markus Strohmayer.

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