Missbrauchsdebatte: Schönborn packt Tabuthema an

Missbrauchsdebatte: Schönborn packt Tabuthema an
Ex-Nonne traf auf Kardinal Schönborn, der von einem Priester erzählte, der ihn küssen wollte.

Ein Priester habe versucht, ihn auf den Mund zu küssen, erklärte Kardinal Christoph Schönborn im Gespräch mit der Ex-Nonne Doris Wagner (35), die acht Jahre in der römischen Niederlassung des Bregenzer Klosters „Mein Werk“ durch spirituellen Druck wie eine Sklavin behandelt und dann von einem Priester mehrfach vergewaltigt worden ist. Als Doris Wagner in dem bewegenden Gespräch im Bayerischen Rundfunk den Kardinal fragte, warum ihr seit 2011 niemand geglaubt und sich niemand bei ihr entschuldigt habe, sagte Schönborn: „Ich glaube Ihnen.“

Das Outing des Kardinals und sein öffentliches Gespräch mit einem Missbrauchsopfer ist derzeit das Gesprächsthema in der katholischen Kirche Österreichs. Genau einen Tag, nachdem Papst Franziskus Missbrauch von Nonnen durch Priester eingeräumt hatte, strahlte der Bayerische Rundfunk ein Gespräch zwischen Kardinal Schönborn und Doris Wagner aus, um das der Vertraute von Franziskus gebeten hatte.

 

Das riecht nach einer gut geplanten Aktion, denn Ende Februar findet in Rom eine Missbrauchskonferenz statt. Schönborn zeigte sich aber im Gespräch mit Doris Wagner nicht gerade optimistisch: Viele Priester hätten nämlich noch kein Problembewusstsein.

„Es braucht zuerst ein Bewusstsein. Und dieses Bewusstsein ist nicht da“, sagte Schönborn und brachte das Beispiel einer missbrauchten Schwester aus Südeuropa. „Die Schwester wurde aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, und der Prälat ist nach wie vor im Amt.“

Der Fall ging bis zu Papst Benedikt XVI., die Frau wurde sogar angehört – und der Prälat blieb im Amt. Von einem Kardinal hörte Schönborn dann: „Ihr da im Norden habt einen anderen Zugang als wir.“

Das Konferenzziel in Rom: „Es müssen erst alle auf den gleichen Bewusstseinsstand gebracht werden.“ Über Missbrauch.

Missbrauchsdebatte: Schönborn packt Tabuthema an

Verständnis für Täter

Doris Wagner, die Theologin und Philosophiedoktorandin, blieb ganz ruhig: Sie verstehe einfach nicht, wie man von Opfern schweren sexuellen Missbrauchs von Kirchenseite darum gebeten werden könne, Verständnis für die Täter zu zeigen? Sie fragte Schönborn zu ihrem Peiniger, der in der Vorwoche zurückgetreten ist: „Wie kann es sein, dass der Vatikan in der Pressemitteilung über den Rücktritt des Priesters schreibt, dass er jede Schuld von sich weist?“

Schönborn: „Das kann nur er kommentieren. Er hat sein Gewissen, er muss das verantworten, auch wenn ihn sein Gewissen täuscht ... Gott sei Dank gibt es eine letzte Instanz und im Letzten eine unbestechliche Instanz.“ Gott.

Als Doris Wagner fragte, „warum das jetzt erst jetzt“ der Papst anspricht, gab es keine Antwort. „Warum ist für diese Würdenträger so viel Verständnis da und für uns Opfer, deren Leben zerstört sind, nicht? Warum werden die Opfer abgewertet, wenn sie Entschädigung wollen? Aber die brauchen das Geld, weil sie oft arbeitsunfähig und krank sind. Warum traut sich der Papst um Verständnis zu werben, für Verantwortungsträger, die es immer noch nicht verstanden haben? Was ist das für eine Kirche?“ Schönborn: „Ja, es ist schrecklich.“ Die ehemalige Nonne sagte: „Wenn ich nicht meinem Mann begegnet wäre, wäre ich heute nicht mehr am Leben.“

Die Hoffnung

Kardinal Schönborn hat Hoffnung, „dass durch das schreckliche Leid und viele Unrecht, das geschehen ist, ein Heilungsprozess geschehen kann, der hoffentlich auch die Kirche wirklich erneuert“.

Doris Wagner blieb skeptisch: „Ob die Kirche nicht am Ende doch nur eine menschliche Organisation ist? In der einige wenige Menschen sich unglaublich wichtig nehmen und ihre eigene Macht absichern gegen alle vernünftigen Überlegungen von anderen. Ich weiß nicht, wie es ausgeht.“ „Wir dürfen hoffen“, sagt Schönborn und bedankt sich bei seiner Gesprächspartnerin: „Danke dafür“.

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