Kommentar: Alleingelassen mit der Missbrauchsdebatte

Das österreichische Kirchenvolk wurde mit Schönborns Aussage wieder einmal verstört.
Martin Gebhart

Martin Gebhart

Es war dem Bayerischen Rundfunk vorbehalten, die katholische Kirche in Österreich aufzuwühlen. Mit einer Sendung, in der Kardinal Christoph Schönborn auf die ehemalige Ordensfrau Doris Wagner getroffen ist, die im Jahr 2014 ein

Buch über ihre Missbrauchserfahrungen in der Gemeinschaft „Das Werk“ verfasst hat.

Die BR-Dokumentation hatte das Schicksal der Frau im Blick.

Die großen Überraschungen lieferte allerdings der Wiener Erzbischof. Weil er sich dieser Konfrontation gestellt hat. Weil er mit Selbstkritik nicht sparte, von Strukturen und Systemen in der Kirche sprach, die Missbrauch begünstigen. Weil er von einem sexuellen Übergriff erzählte, den er in seiner Jugend erlebt hatte: Ein Priester, den er grundsätzlich sehr schätzte, habe versucht, ihn zu küssen. So viel Offenheit war nicht zu erwarten gewesen. Und wahrscheinlich auch die Folge, dass Papst Franziskus bei seinem Rückflug von Abu Dhabi offen den Missbrauch von Nonnen durch Priester und Bischöfe angesprochen hatte.

Aber wie sollen die Gläubigen mit diesen Botschaften umgehen? Was bedeuten Schönborns Ansagen und Andeutungen für die Priester? Antworten gab es dazu am Tag nach der Sendung keine. Weder vom Kardinal noch von dessen Wiener Kommunikationszentrale. Funkstille. Das österreichische Kirchenvolk wurde wieder einmal verstört und danach alleingelassen. Mit dem Gefühl, dass ihm die Kirche als Heimat verloren geht.

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