Nun hat der OGH aber zu Ihren Gunsten entschieden. Hat Sie das überrascht?
Ich habe nicht damit gerechnet. Was auch wieder traurig ist – überrascht zu sein, wenn einem Gerechtigkeit widerfährt.
Juristen sprechen von einer „Wende in der Missbrauchsjudikatur“. Welche Auswirkungen wird das Urteil Ihrer Meinung nach haben?
Es hat eine Signalwirkung auf andere Opfer, dass es nicht hoffnungslos ist. Und dass man aufstehen muss, auch wenn es ein langer Weg ist.
Wann haben Sie das erste Mal über den Missbrauch gesprochen?
Ich war damals wegen Schlafproblemen, Depressionen und Burn-out in psychiatrischer Behandlung. Erst durch das Gespräch mit meiner Therapeutin ist mir bewusst geworden, dass es damals Vorfälle mit einem Pfarrer gab und diese die Ursache für meine Probleme sind. Im ersten Moment konnte ich es gar nicht glauben.
Sie haben es also über die Jahre verdrängt?
Ja, und das hat eine Weile auch ganz gut funktioniert. Aber je mehr man hinschaut, desto mehr kommt zum Vorschein.
Wollen Sie mit der Öffentlichkeit teilen, was Ihnen zugestoßen ist?
Es hat im Alter von fünf oder sechs Jahren begonnen. Zunächst waren es Berührungen, dann wurde es immer intimer. Und je schmerzhafter es für mich war, desto mehr Gefallen hat er daran gefunden.
Haben Sie damals jemandem davon erzählt?
Ich habe es meinen Pflegeeltern erzählt. Aber sie sagten, da sei nichts dabei und ich solle mich nicht so anstellen. Danach habe ich es einem anderen Geistlichen in der Pfarre erzählt. Er meinte aber nur, dass es viele Wege gebe, christliche Nächstenliebe zu zeigen.
Wie lange dauerte der Missbrauch an?
Da war ich schon in der Lehre, also 17, knapp 18. Damals gab es den Begriff Stalking noch nicht. Aber wenn ich meine Verabredungen mit ihm nicht eingehalten habe, hat er mich abgepasst. Den Kontakt konnte ich erst abbrechen, als ich auch den Kontakt zu meinen Pflegeeltern abgebrochen habe und von Zuhause weg bin.
Auch die strafrechtlichen Verjährungsfristen bei Missbrauch werden immer wieder diskutiert, weil sich Opfer oft erst Jahre später an betreffende Stellen wenden können. Warum ist das so?
In meinem Fall hat er mir eingeredet, dass ich selber schuld daran bin. Und als Kind glaubt man das.
Der Täter starb, noch bevor Sie sich an die Klasnic-Kommission gewandt haben. Wie war die Nachricht seines Todes für Sie?
Einerseits war ich froh darüber. Am Grab zu stehen und sagen zu können, ich habe es überlebt. Weil darum ging es bei mir, ich hatte oft Suizidgedanken. Andererseits fand ich es tragisch, dass er sich nie dafür rechtfertigen musste.
Wie blicken Sie heute auf Ihr Leben?
Es ist ein zerstörtes Leben. Ich habe immer noch Flashbacks, es ist ständig da. Dabei habe ich sicher 1.000 Therapiestunden hinter mir. Ich frage mich, was ich erreichen hätte können, wenn es nicht passiert wäre.
Mit welchem Gefühl gehen Sie in den kommenden Prozess?
Schon mit einem gewissen Optimismus. Ich glaube, die Zeit arbeitet für mich, weil die erzkonservativen Kräfte in Gesellschaft, Kirche und Justiz weniger werden.
In letzter Zeit wurden mehrere Missbrauchsfälle in Wiener Bildungseinrichtungen bekannt, teilweise wurden sie vertuscht. Hat sich im Umgang mit Missbrauch nichts geändert?
Das erste Instrument scheint immer noch Vertuschung und nicht Aufarbeitung zu sein. Das ist unbegreiflich. Ich glaube, es ist fast ein Automatismus, zuerst einmal zu versuchen, die Opfer stillzustellen.
Welche Auswirkungen hat Vertuschung auf Opfer?
Es ist ein weiterer Schlag ins Gesicht. Sie anzuerkennen, ist nicht nur für sie wichtig, sondern auch für die Gesellschaft.
Was brauchen Kinder in solch einer Situation?
Das Bewusstsein, es ist falsch, was passiert ist. Sie müssen sich nicht dafür schämen, was Erwachsene ihnen angetan haben. Und Täter dürfen nicht nur versetzt werden, sie dürfen keinen Kontakt zu Kindern haben. Sonst ist es so, als würde man einen Alkolenker aufhalten und sagen: „Steigen Sie einfach auf ein anderes Auto um!“
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