Jesionek: Die katholische Kirche in Österreich nimmt in der Tat eine Vorreiterrolle ein. Österreich war im Jahr 2010 weltweit das erste Land, in dem mit der Aufarbeitung von Missbrauch an Kindern in Institutionen begonnen wurde.
Aufgrund der Missbrauchsskandale und darauf folgende Kirchenaustritte stand die Kirche allerdings mit dem Rücken zur Wand.
Sie stand jedenfalls unter Zugzwang. Irgendwann hätte man mit der Aufarbeitung beginnen müssen, es war nur eine Frage der Zeit.
Ein häufiger Vorwurf an die Klasnic-Kommission ist, sie sei Teil der Täterorganisation. Kann diese unabhängig arbeiten?
Meine Voraussetzung für die Zusage war damals, dass das, was wir beschließen, auch umgesetzt wird und wir völlig unabhängig arbeiten können. Das ist auch so. Es gab nie den geringsten Versuch, Einfluss zu nehmen.
Rein symbolisch ist die Verknüpfung mit der Kirche für die Opfer nicht ideal, oder?
Es wäre geschickter gewesen, den Weissen Ring damit zu beauftragen, wie es damals die Stadt Wien beim Missbrauch in Kinderheimen getan hat. Damit wäre es völlig losgelöst von der Kirche gewesen. Aber das liegt auch an den komplizierten Strukturen und Zuständigkeiten der katholischen Kirche.
Die Entschädigungszahlungen an Opfer liegen deutlich hinter jenen Irlands oder der USA. Warum?
Die Entschädigungssätze sollten meiner Meinung nach höher sein. Die Beträge waren das Einzige, was von der Kirche vorgegeben wurde. Aber die Therapiestunden, die wir zuerkennen, sind mit bis zu 120 Stunden sehr hoch. Klar ist aber auch, dass kein Betrag die Taten jemals wiedergutmachen kann, auch nicht Millionen. Und das Wichtigste ist für die Opfer die Anerkennung. Ihnen zu sagen, ja, euch ist Unrecht geschehen.
Werden die Täter hierzulande ausreichend zur Rechenschaft gezogen?
Sehr oft ist das gar nicht mehr möglich. Das hat einerseits mit der Verjährung zu tun. Andererseits ist es gerade bei diesen Taten oft nicht mehr möglich, Beweise zu erbringen, die auch vor Gericht standhalten und zu einer Verurteilung führen könnten.
Ist zumindest garantiert, dass sie danach keinen Kontakt mehr zu Jugendlichen und Kindern haben?
Ich hoffe es. Das ist ja das Tragische am aktuellen Fall mit Benedikt XVI. Sie waren der Meinung, wenn die Täter bereuen und beten, werden sie es nicht mehr tun. Und anstatt sie ins Archiv zu versetzen, haben sie sie wieder mit Kindern arbeiten lassen. Zu glauben, man kann Täter so heilen, ist nicht nur naiv, sondern auch ein großes Verbrechen.
Apropos Verjährung: Warum schaffen es Opfer häufig nicht, sich früher an zuständige Stellen zu wenden?
Kinder verstehen meist gar nicht, was ihnen geschieht. Zudem ist es mit Scham verbunden. In der Kirche und anderen Institutionen haben aber auch die Rahmenbedingungen dazu beigetragen.
Wie kann man sexuellen Missbrauch in der Kirche verhindern?
Zentrales Thema ist die Prävention. Sie wirkt durch Aufklärung und Schulung. Zusätzlich braucht es permanente Aufsicht und Kontrolle. Und man muss kirchlichen Amtsträgern die Möglichkeit geben, mit ihrer Sexualität fertigzuwerden. Wenn man das Zölibat anordnet, muss man Anlaufstellen bieten, wo es nicht nur seelsorgerische, sondern auch therapeutische Angebote gibt. Ich glaube schon, dass das Zölibat eine Ursache für sexuellen Missbrauch ist. Im Vergleich zu meiner Arbeit in der Missbrauchsaufklärung in staatlichen Einrichtungen habe ich in der Klasnic-Kommission mit viel mehr Fällen von Pädophilie zu tun.
In Deutschland hat die MHG-Studie (Mannheim, Heidelberg, Gießen, Anm.) viel zur Aufklärung beigetragen. Warum gibt es in Österreich keine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung? Den Grund kenne ich nicht. Die Kommission selbst hat keine Möglichkeit dazu. Sie hat sich auf die Frage der Therapien und Entschädigungen zu beschränken. Aber meiner Meinung nach stünde es der katholischen Kirche gut an, so etwas umzusetzen.
Die Kirche betont, dass Vertuschung von Missbrauch der Vergangenheit angehöre. Stimmt das?
Vertuschungsversuche wird es immer geben. Jede Organisation will nach außen hin sauber dastehen. Aber ich glaube, es ist heutzutage schwieriger, als Täter im Verborgenen zu bleiben. Noch vor zehn oder 15 Jahren haben sie gewusst, dass ihnen nichts passieren wird, weil man den Opfern nicht geglaubt hat. Heute schenkt man ihnen diesen Glauben und es kommt zu Verfahren.
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