Ist E-Auto fahren wirklich eine große Umstellung?
Als Führerschein-Neuling lässt man im Idealfall grundsätzlich die Finger von allem was neu und/oder teuer ist, wenn es um Autos geht. Die Unfallrate von neuen Führerscheinbesitzern ist entsprechend hoch. Ich habe meinen Führerschein erst mit 30 gemacht. Das war im November 2022.
Und trotzdem hat mir unsere Ressortleiterin Motor, Sandra Baierl, ein sündhaft teures E-Auto anvertraut. Und so hatte ich mein erstes Mal voll-elektrisch.
Spoiler: das Auto hat den Test überlebt. Wenn auch nur knapp.
Zwei volle Tage konnte ich ihn also testen, den Polestar 2. Kostenpunkt in der Basis-Version: 63.000 Euro. Meine Variante war aber eine erweiterte und vor allem teurere Version. Welche genau, hat mich als Nicht-Auto-Enthusiast nicht wirklich interessiert. Schon die 63.000 Euro übersteigen bereits mein Jahresgehalt.
Aber ich habe einen Vorteil: ich bin ein Angsthase, wenn es um solche Dinge geht.
Andere würden wahrscheinlich beim erstem Kilometer auf der Autobahn gleich mal die linke Spur vereinnahmen und im Wissen, wo eine Radarbox auf der Strecke nach Hause steht, ordentlich die Leistung des Autos ausreizen. Der Autor dieser Zeilen ist aber so verantwortungsbewusst und hat die jeweiligen Geschwindigkeitsbegrenzungen nur ein einziges Mal überschritten. Und das war unabsichtlich.
Wobei wir gleich bei der ersten Umstellung wären. Normalerweise fahre ich einen Hyundai i30cw Benziner. Groß, sperrig, langsam und alt, weil Baujahr 2007. Die Kupplung hat bereits gelitten. Nicht nur durch mein Drauftreten.
Dass ich aber beim Polestar keine Kupplung hatte, weil ja E-Auto, hat mich keine Sekunde Umgewöhnung gekostet. Vielleicht haben mir da die 2.000 Automatik-Kilometer mit dem Toyota Rav4 auf Island geholfen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Respekt bekommen
Die bereits erwähnte, ungeahndete, Geschwindigkeitsübertretung, passierte mir gleich in den ersten 10 Fahrminuten.
Aus der Garage im 19. Bezirk rausgefahren, über die Donaukanal Straße raus ins nördliche Niederösterreich. Dort auf der Donaukanal Straße darf man maximal 70 km/h fahren. Ich war auf 110 als ich vom Beschleunigungsstreifen auf die Fahrspur Richtung Praha wechselte. Ups. Denn diese E-Autos sind einfach extrem schnell. Vor allem in der Ansprache. Während ich mit meinem Hyundai noch gemütlich beschleunigt hätte, war der Polestar bereits weit über der erlaubten Geschwindigkeit.
Das sagt der KURIER Motor-Experte Michael Andrusio zum Polestar 2
Ich habe also sehr schnell eine große Portion Respekt gegenüber dem Auto bekommen. Und das ist gut so. Für E-Auto-Neulinge ist das vermutlich der erste Aha- oder Wow-Moment. Immer mit der Gefahr, dass man die Kraft unter den vier Buchstaben glasklar unterschätzt.
Lenken, nicht fahren
Der nächste Punkt auf der Liste war das Thema Komfort und Fahrverhalten. Als jemand, dessen eigenes Auto so gut wie keine luxuriöse Annehmlichkeit wie Park-Assistent, Abstandsmesser, ja nicht mal Tempomat, bietet, war der Polestar wie ein Raumschiff. Viel Bildschirm, viel Technik, viel zum ausprobieren.
Und dabei habe ich den Tempomat lieben gelernt. Die rund 60 Kilometer von Autobahn-Auffahrt A22 bis zu meinem Heimatort habe ich bereits bei der ersten Fahrt mit dem Tempomaten absolviert. Und habe in den gut 30 Minuten kein einziges Mal das Pedal berührt.
Durch automatische Abstandsmessung und Co. fühlte sich das Fahren mit dem E-Auto mehr nach Raumschiff lenken als Auto fahren an. Von meinen Eltern, die selbst seit gut 3 Jahren ein E-Auto anderer, deutlich günstigerer, Marke haben, weiß ich: Das ist auch bei ihnen so.
Hinzu kommt die sogenannte Rekuperation (siehe Infobox), die für mich auch ein gänzlich neues Fahrgefühl ermöglicht hat. Alles quasi mit nur einem Pedal, dem Beschleunigungspedal.
Als "Rekuperation" bezeichnet man das Verfahren der Energierückgewinnung. Besonders in Kraftwerken und in der Elektromobilität spielt sie eine maßgebliche Rolle, um Energie möglichst effizient nutzen zu können. Das Konzept selbst ist einfach: Das Beschleunigen eines Autos benötigt Energie. Beim Bremsen des Autos kann ein Teil dieser Energie zurückgewonnen werden. Man nutzt diese beim Betrieb von Elektroautos und Hybriden, um die Reichweite zu erhöhen und dabei den Akku zu schonen.
"Oida, wo soll i jetz‘ ladn?"
Jeder kennt sie. Die E-Auto-Klischees. Auf ein spezielles möchte ich gern eingehen. Das Thema Laden und Ladestationen.
Denn von meinem Vater weiß ich, dass er in der Anfangszeit eine eigene Geldbörse mit den verschiedenen Ladekarten hatte. Ein Krampf. Gerade für jemanden wie mich, der ein Wallet mit den wichtigsten Karten sein Eigen nennt und sein Leben ohne Geldbörse bestreitet.
Aus Transparenzgründen muss ich sagen: Ich habe keinen Cent für das Aufladen des Autos bezahlt. Da der Kurier immer wieder Autos zum Testen bekommt, gibt es entsprechende Ladekarten.
Aber das ändert nichts an der dahinterliegenden Infrastruktur. Zugegeben, ich habe das Auto insgesamt 5 Mal in etwas mehr als 2 Tagen geladen. Mit dem E-Auto liegen bleiben: Schlimmste Vorstellung. Vermutlich hätte aber auch einmal aufladen ausgereicht. Aber ich wollte auf Nummer sicher gehen (Sie erinnern sich? Angsthase)
Geladen habe ich am Heimatbahnhof, in der Innenstadt, nochmal Bahnhof, bei einem Fast-Food-Lokal und in einem Einkaufszentrum. Überall mit der gleichen Karte aktiviert. Mittlerweile funktioniert das in fast ganz Österreich mit nur einer einzigen Karte. Eine absolute Erleichterung im Vergleich zu den Erzählungen meiner Eltern.
Ein Problem gab es dann aber doch. Sie erinnern sich an das oben genannte Fast-Food-Lokal. Der Schachtelwirt mit gelbem Logo war das Ziel. An einem Sonntag. Auf einem großen Parkplatz. Wo gerade der monatliche Flohmarkt stattfand.
"Oida, wo soll i jetzt ladn?", fragte ich meine Frau am Beifahrersitz, als ich auf den entsprechenden Parkplatz gefahren bin. Glück im Unglück. Einer von sechs Ladepunkten war noch frei.
Dieses Problem ist aber sicher genau jenes, vor dem viele stehen. Die Zahl der E-Autos nimmt rapide zu. Die entsprechenden öffentlichen Ladestationen zwar auch, aber nicht im gleichen Ausmaß. Das macht das E-Auto-Fahren also zu einem zusätzlichen Abenteuer.
Der Polestar war noch bei 70 Prozent. Ich hätte es also auch ohne Ladung geschafft. Aber sicher ist sicher. Niemand wusste, wo es uns an diesem Ausflugstag noch hintreiben würde.
Fazit: Geil, aber…
Zwei Tage mit dem E-Auto haben richtig viel Spaß gemacht. Seit dem ist mein ohnehin schon vorhandenes Interesse ins Unermessliche gestiegen. Es gibt aber gleich zwei "Aber".
- Aktuell ist ein E-Auto mit entsprechender Reichweite (also für mich mind. 400km) nicht leistbar.
- Ich kann mein Auto nicht zu Hause laden. In Ermangelung eines fixen Stellplatzes bei meinem Haus, kann ich keine Wallbox installieren oder ein Kabel nutzen, weil es über den Gehsteig laufen würde. Rechtlich eine Grauzone und auch nicht sonderlich praktikabel (und vermutlich auch keine Ersparnis im Vergleich zum Benzin/Diesel).
Falls Sie, lieber Leser/liebe Leserin, hier einen Tipp für mich haben, dann würde ich mich über eine E-Mail freuen. Es wird hoffentlich nicht der letzte E-Auto-Ausflug gewesen sein.
Zum Abschluss bin ich Ihnen noch etwas schuldig. Ich sagte, dass das Auto den Test nur knapp unbeschadet überstanden hat.
Beim Einparken in der Kurier-Garage, nur Minuten bevor ich das Auto zurückgegeben habe, hätte ich fast einen Betonsteher mit dem Heck des Autos abkassiert. Ein Hoch auf die Hinderniserkennung im Auto. Upsi.
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