Nach Platzsturm: Türken fordern „schärfste Strafe“

Nach dem Angriff auf israelische Fußballer in Bischofshofen werden zehn Personen als Beschuldigte geführt.
Politiker, Juden und Muslime verurteilen den Gewaltakt beim Testspiel in Bischofshofen.

Heftige Kritik löste der Angriff auf Spieler des israelischen Fußballvereins Maccabi Haifa in Bischofshofen aus. Türkischstämmige Jugendliche hatten sie Mittwochabend beim Freundschaftsspiel gegen den OSC Lille attackiert. Verletzt wurde zum Glück niemand (siehe unten).

Politiker aller Couleur reagieren mit Empörung auf den Angriff in Bischofshofen. „Gäste, die sich in Österreich aufhalten, haben das Recht, das in Sicherheit zu tun – unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer religiösen Zugehörigkeit“, sagte etwa Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ). Und auch Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) stellt klar, dass es „gegenüber religiös oder antisemitisch motivierter Gewalt absolut null Toleranz geben“ dürfe.

Der Sprecher des Clubs der Freunde Israels, Daniel Kapp, findet es „inakzeptabel, dass der Nahostkonflikt über die türkische Community nun auch nach Österreich überzuschwappen scheint“.

Warum er von 20 Gewalttätern auf die gesamte türkische Community schließt, erklärt Kapp so: „Erstens wurde bereits die Anti-Israel-Demonstration am Sonntag in Wien überwiegend von der türkischen Community getragen. Und zweitens macht es uns sehr nachdenklich, dass so etwas jetzt schon in einem kleinen Ort wie Bischofshofen passiert – da gibt es also offenbar eine ganz schlimme Verhetzung. Und die wird aus dem Ausland hereingetragen und zwar aus der Türkei.“

Nur auf den ersten Blick unerwartete Unterstützung bekommen die Freunde Israels von der FPÖ: Österreich habe eine geschichtliche Verantwortung gegenüber Israel und müsse besonders sensibel mit antisemitischen Vorfällen umgehen, sagte Parteichef HC Strache. „Wenn mutmaßlich muslimische Zuwanderer glauben, ihre Konflikte in ihrem Gastland Österreich austragen zu müssen, dann sind sie hier falsch.“

DIE sind antisemitisch

Mit Äußerungen wie diesen würden auch Muslime pauschal angegriffen, die nicht radikal sind, sagte Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger im Ö1-Mittagsjournal. „Und zwar nicht unbedingt, weil wir kritischer gegenüber Antisemitismus geworden wären, sondern weil wir jetzt sagen: ,Schaut, DIE sind die Antisemiten, nicht mehr wir.‘“

Birol Kilic, Sprecher der türkischen Kulturgemeinde, gibt Schmidinger recht: Er findet Straches Statement „heuchlerisch und zynisch“. Die „primitive Attacke“ von Bischofshofen verurteile man aufs Schärfste. Den Tätern gebühre „die schärfste gesetzliche Strafe“.

Einer, der vergangene Woche selbst an der Anti-Israel-Demo teilnahm, ist Fatih Köse von den „New Vienna Turks“. „Ein Land zu kritisieren hat nichts mit Antisemitismus zu tun“, meint er. Zu Bischofshofen sagt der Aktivist: „Ich verurteile die sinnlose Attacke.“

Sein Bedauern drückt auch Fuat Sanac, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, aus. An deren Mitglieder appelliert er, Probleme nicht nach Österreich zu importieren.

Sie wurden beschimpft, bespuckt und getreten; mussten zusehen, wie ihre Fahne beschmiert und ihre Herkunft verunglimpft wurde. Die Spieler des israelischen Vereins Maccabi Haifa wurden am Mittwochabend bei einem Freundschaftsspiel gegen den französischen Oberhausklub OSC Lille in Bischofshofen Opfer einer Attacke durch teils türkischstämmige Jugendliche aus dem Pongau. Diese trugen den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern im Gaza-Streifen auf den Platz.

Die Meldung einer Gratiszeitung, ein Türke hätte dabei ein Messer gezogen, dementiert die Polizei. Bisher seien auch keine Verletzten gemeldet worden – was angesichts der Bilder, die tags darauf im Internet kursierten, schier unglaublich scheint. Der israelische Spieler Eyal Meshumar (Rückennummer 27 am Bild) wurde getreten, sein Kamerad Gustavo Boccoli dürfte gewürgt worden sein. Er postete auf Facebook ein Bild von seinem Hals, dazu die Worte: „Gemeinsam werden wir gewinnen.“

Eine Gruppe von Zuschauern provozierte zunächst von der Tribüne aus mit Plakaten wie „Fuck Israel“. In der 85. Minute stürmten drei Jugendliche mit türkischen und palästinensischen Flaggen den Platz, daraus entwickelten sich Handgreiflichkeiten mit immer mehr Beteiligten. Die Israelis ließen sich auf die Konfrontation ein, anstatt es wie die gegnerische Mannschaft zu machen, die das Spielfeld sofort verließ. Die Polizei konnte den Tumult rasch auflösen. Jetzt ermittelt das Landesamt für Verfassungsschutz u.a. wegen versuchter Körperverletzung und Nötigung.

Für Askin Karadeniz vom türkischen Kulturverein ATIB aus dem Pongau sind die Randalierer keine Unbekannten: „Es sind schwarze Schafe dabei, die hier in der Gegend amtsbekannt sind. Ich werde sie mir persönlich zur Brust nehmen. Was da passiert ist, ist unter aller Würde und wird von uns nicht toleriert.“

Die israelischen Spieler trainierten am Donnerstagvormittag schon wieder in Leogang, wo sie seit mehr als zehn Jahren regelmäßig zu Gast sind. Zu dem Vorfall wollen sie sich nicht äußern, richtet Klemens Kögl, Sprecher des Trainingslager-Organisators SLFC aus Salzburg aus. „Sie wollen schnell wieder zurück zur Normalität. Aber natürlich geht so etwas nicht spurlos an einem vorüber.“

Tirol ist alarmiert

120 Testspiele organisiert SLFC jeden Sommer für internationale Klubs. Auch das kommende Match von Maccabi Haifa, das am Samstag in Tirol stattfinden soll. Dort ist man alarmiert. „Das Amt für Verfassungsschutz hat keine Erkenntnisse, dass Störaktionen geplant sind. Aber wir bereiten uns darauf vor, solchen Vorfällen vorzubeugen“, sagt Walter Meingassner, Polizeikommandant des Bezirks Kufstein, in dem die Begegnung stattfinden soll. Das Spiel wird in jedem Fall von einem Polizei-Großaufgebot gesichert. Wo das Match stattfindet, stand am Donnerstagabend noch nicht fest. Der Gegner heißt SC Paderborn aus Deutschland. Doch das ist längst Nebensache.

In Berlin skandierten Demonstranten antijüdische Parolen ("Jude, Jude, feiges Schwein"), in Paris kam es zu Ausschreitungen gegenüber der jüdischen Bevölkerung und am Bosporus wirft der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan Israel vor, Hitler in Sachen Barbarei übertroffen zu haben.

Nun stellt sich eine alte Frage erneut: Wo hört Israelkritik auf, wo fängt Antisemitismus an? Im KURIER-Gespräch erklärt der Nahost-Experte John Bunzl, warum Israel ein ambivalentes Verhältnis zum Antisemitismus hat und eine Differenzierung der Begriffsverwendung nötig wäre.

Herr Bunzl, seit Beginn der Operation "Fels in der Brandung" häufen sich die Demonstrationen gegen Israels Vorgehensweise im Gazastreifen. Oft schlägt der Protest jedoch in Judenhass um. Wie kommt das?

Ich bin vorsichtig bei der Charakterisierung der Demonstrationen als antisemitisch. Es handelt sich nicht um einen Antisemitismus im klassischen Sinne, also um eine Verurteilung der Juden weil sie Juden sind – sondern um eine verschobene Solidarisierung mit den Palästinensern. Die Proteste sind punktuell gegen das israelische Militär, gegen die Unterdrückung der Palästinenser, gegen die drakonischen Strafen etc. gerichtet.

Und doch gibt es Ausschreitungen in Paris und antisemitische Parolen in Berlin...

Ja, diese Auswirkungen sind antisemitisch, sie sind gegen Juden gerichtet. Es ist absolut zu verurteilen. Der Kontext ist nur nicht der des klassischen Antisemitismus: Es ist nicht wie in der Reichskristallnacht 1938 als die Tempelgasse Synagoge in Wien völlig zerstört wurde, weil sie eine Synagoge war. Aber dass es antisemitische Äußerungen gab und noch immer gibt, ist eine traurige Tatsache.

Nach Meinung des französischen Premierministers Manuel Valls würden sich Antisemiten in einem antizionistischen Kostüm verstecken. Wie kann man das verstehen?

Neben dem Antizionismus, der die Existenz oder die Strukturen des Staates Israel ablehnt, gibt es jenen Antizionismus, der tatsächlich antisemitisch konnotiert ist. Das ist dann der Fall wenn Israel attackiert wird, entweder weil es jüdisch ist oder weil die Gefühle gegen den Zionismus in Wirklichkeit für den eigenen psychischen Haushalt dienen. Das sieht man besonders häufig, wenn Staaten das israelische Vorgehen mit dem Nazi-Verbrechen gleichsetzen. Dadurch fühlen sich viele von ihren vergangenen Taten entlastet. Das ist eine Israelfeindlichkeit mit antisemitischen Motiven.

Bei den Demonstrationen auch?

Wenn man sich die Proteste ansieht, muss man differenzieren. Wenn jemand gegen die Bombardierung von Gaza protestiert, gegen die Siedlungspolitik, gegen Verfolgung und Unterdrückung, dann muss das Motiv zwangsläufig nicht antisemitisch sein. Auch in Israel wird gegen das Vorgehen protestiert. Den Teilnehmern wird dann Antizionismus vorgeworfen.

Israel und andere Staaten sehen trotzdem einen Anstieg von Judenfeindlichkeit.

Die Grenze zwischen israelkritischen und antisemitischen Äußerungen ist schwammig. Es ist problematisch, wenn eine Kritik gegen den Staat Israel als Antisemitismus gewertet wird. Laut einer Umfrage gilt der Nahost-Konflikt als der gefährlichste Konflikt weltweit. Das wurde zunächst als antisemitisch gewertet. Aber auch die Gefährlichkeit der Gegner oder die Gefährlichkeit der Region müssen miteinbezogen werden. Es wird zu oft pauschalisiert.

Woher kommt die häufige Verwendung des Begriffes?

Die israelische Einstellung gegenüber Antisemitismus ist ambivalent. Israel versteht sich als Staat der Juden, nur hier sind Juden sicher und frei. Und wenn in anderen Ländern hohe Werte von antisemitischen Ressentiments gemessen werden, dann legitimiert sich der Staat Israel. Deshalb werden israelkritische Äußerungen sehr schnell als antisemitisch gedeutet. Eine Verharmlosung von Antisemitismus ist eine sehr unangenehme Nebenwirkung des inflationären Gebrauchs des Vorwurfes.

Kommen wir noch kurz zum Konflikt im Gazastreifen. Wie könnte dieser doch noch gelöst werden?

Kurzfristig kann es nur um einen Waffenstillstand gehen. Dieser würde die Gesamtsituation aber nicht wirklich verändern.

Und langfristig ...

... läuft es auf ein riesiges, instabiles Gefängnis mit Gefängnisrevolten hinaus. Die israelische Herrschaft zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan inklusive Gaza wird sich konsolidieren. Es wird ein paar autonome Flecken von palästinensischen Selbstverwaltungen geben, die von Israel abhängig sein werden. Utopisch ist derzeit ein demokratischer Staat, in dem alle Bevölkerungsschichten die gleichen Rechte haben. Dieser wäre letztendlich aber eine Perspektive, der man nachgehen sollte.

Zur Person

Nach Platzsturm: Türken fordern „schärfste Strafe“
Der in London geborene Politikwissenschaftler und Nahost-Experte Univ.-Doz. Dr. John Bunzl arbeitet als Senior Fellow am Österreichischen Institut für Internationale Politik in Wien. Zu seinen Schwerpunkten gehören unter anderem ethnische und kulturelle Konflikte, Terrorismus, jüdische Geschichte und Antisemitismus.

Obwohl er selbst jüdischer Herkunft ist, hat sich der Politikwissenschaftler besonders für das Anliegen der Palästinenser eingesetzt und dafür Anerkennung, aber auch scharfe Kritik von der jüdischen Gemeinde geerntet.

Für das Werk „Islamophobie in Österreich“ ist er gemeinsam mit dem Politikwissenschaftler Farid Hafez mit dem Bruno-Kreisky-Anerkennungspreis für das politische Buch des Jahres 2009 ausgezeichnet worden.

Tag 13 war der blutigste Tag", schrieb die Washington Post. Mehr als 100 Palästinenser wurden am Sonntag durch israelische Angriffe aus der Luft und am Boden getötet. 13 Soldaten kamen nach Informationen des israelischen Militärs (IDF - Israel Defense Forces) während der ausgeweiteten Bodenoffensive im Gazastreifen ums Leben. Tausende mussten aus ihren Häusern fliehen und konnten nur noch in Gebäuden der Vereinten Nationen Zuflucht finden. Eine für zwei Stunden angesetzte Waffenruhe wurde in ein paar Minuten wieder gebrochen. Man habe "auf Beschuss der Hamas" reagiert und "zurückgeschossen", sagte ein Militärsprecher.

Während Medien über steigende Opferzahlen, internationalen Bemühungen und gescheiterten Verhandlungen berichten, gehen Menschen in Europa auf die Straßen. Die Demonstrationen gegen die israelische Offensive im Gazastreifen gehen dabei nicht immer so friedlich zu wie in Wien (siehe unten). In Paris verwüsteten Jugendliche Ämter und Läden, in Berlin skandierten Demonstranten antijüdische Parolen und am Bospurus hielt man sich an den türkischen Ministerpräsident Tayyip Erdogan. Dieser hatte Israel vorgeworfen, Hitler in Sachen Barbarei übertroffen zu haben.

Ein Überblick über die Protestwellen in Österreich, Frankreich, Deutschland und Türkei.

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