Lichtblick im Dunkel der Höhle

Einsatzkräfte der Bergwacht beraten das Vorgehen am Untersberg.
Der Zustand des Verletzten ist besser als erwartet. Er wurde von Salzburger Rettern versorgt.

Die Informationen, die aus der Tiefe kommen, sind mit Vorsicht zu genießen. Denn bis sie aus dem Inneren der "Riesending"-Schachthöhle im Untersberg bei Berchtesgaden dringen, vergehen Stunden. Rund 1000 Meter unterhalb des Einstiegs sitzt dort seit Sonntag Johann Westhauser fest – durch einen Steinschlag am Kopf verletzt. "Der Mann ist bei Bewusstsein und kann mithilfe der Retter auch gehen", hieß es am Dienstagnachmittag von der Einsatzleitung.

"Das wäre ein Riesenschritt, wenn er sich selbstständig bewegen kann", sagt Johannes Rosenberger vom Salzburger Höhlenrettungsdienst. Bis Montagabend war er mit einer 15-köpfigen Mannschaft vor Ort. Sechs von ihnen waren im Inneren des Bergs. "Wir haben uns jetzt weitestgehend zurückgezogen. Die Besten von uns sind als Erste hineingegangen. Wir sind personell ausgebrannt." Ob die Salzburger ein weiteres Team stellen können, ist fraglich. Am Dienstag waren noch zwei von Rosenbergers Männern in dem gigantischen Höhlensystem mit einer Länge von 19,2 Kilometern und 1148 Metern Tiefe. "Sie dürften auch am Patienten gewesen sein und ihn medizinisch versorgt haben", sagt der 45-Jährige.

Lichtblick im Dunkel der Höhle
Norbert Rosenberg vom Höhlenrettungsdienst bei einer Pressekonferenz am 9.6.2014 in Berchtesgaden. 15 Salzburger Höhlenretter standen bei der Rettungsaktion für einen 52-jährigen Höhlenforscher in der Riesendingschachthöhle im Untersberg an der deutsch-österreichischen Grenze im Einsatz.

Schmale Schächte

Der Gesundheitszustand des 52-jährigen Höhlenforschers aus Stuttgart, der als Mitentdecker der Riesending-Höhle gilt, ist entscheidend. Anfänglich gingen die Helfer davon aus, dass der Verletzte nur liegend transportfähig ist. Das würde eine Bergung nahezu unmöglich machen. Einige der Schächte auf dem Weg nach oben sind derartig schmal, dass ein Erwachsener gerade durchschlüpfen kann.

Die größte Höhle Deutschlands ist ein wahres Monster. Bereits im Einstiegsbereich stürzt das Gelände über freihängende und Steinschlag-gefährdete Abseilpassagen rund 350 Meter senkrecht in die Tiefe. Die Stollen setzen sich dann kilometerweit durch Schächte, unterirdische Bäche und Engstellen fort. "Es gibt weltweit nur ein paar Dutzend Menschen, die psychisch und physisch in der Lage sind, diese Höhle zu besteigen", beschreibt Rosenberger die Schwierigkeiten der Bergung.

Die Helfer müssen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gehen. Die technisch schwierigen Passagen sind nerven- und kräfteraubend. Die niedrigen Temperaturen im Inneren des Bergs von sechs Grad und weniger gehen ebenso an die Substanz. "Es gibt nichts Vergleichbares. Hinzu kommt die psychische Belastung, in absoluter Dunkelheit den Gewalten ausgeliefert zu sein", sagt Rosenberger. "Das Einzige, das einen in so einer Höhle hinunterbringt, ist man normalerweise selbst. Und hinauf ist es dasselbe."

Um den Verletzten wieder ans Tageslicht zu bringen, müssen die Einsatzkräfte Flaschenzüge und Seilwinden installieren. Alles Material und jegliche Verpflegung muss durch Menschen in die Höhle geschafft werden. Die Rettung wird noch Tage dauern. "Momentan stehen die weitere medizinische Betreuung und Stabilisierung des Verunglückten im Vordergrund", erklärte die Einsatzleitung. Am Dienstagnachmittag bereitete sich ein weiteres Team auf den Einstieg in die "Riesending"-Schachthöhle vor. "Darunter ist auch ein höhlenerfahrener Arzt aus Österreich", hieß es.

Lichtblick im Dunkel der Höhle

Internationaler Einsatz

Der Einsatz hat Retter aus ganz Europa alarmiert. Neben Deutschen und Österreichern drangen in der Nacht auf Dienstag auch Schweizer Höhlenretter ins "Riesending" vor. Gestern trafen hochspezialisierte Einsatzkräfte aus Norditalien am Unglücksort an der Grenze zwischen Bayern und Salzburg ein.Im gesamten Verlauf der Höhle haben die Profis inzwischen Biwaks mit Verpflegung errichtet. Sie sollen den Rettern und Johann Westhauser bei der Bergung für Ruhepausen dienen. Der Aufenthalt in den Zelten könnte sich aber verlängern, wenn das Wetter nicht mitspielt. Bei Starkregen könnten einige Passagen vorübergehend unpassierbar werden. Der Durchstieg der Schächte wäre bei großen Wassermengen mit dem Versuch vergleichbar, einen Wasserfall zu durchsteigen.

Der deutsche Kollege ist ein Profi. Er ist seit 30 Jahren als Höhlenforscher aktiv und äußerst routiniert. Wir sind sehr betroffen“, sagt Johannes Mattes, Generalsekretär des Verbandes Österreichischer Höhlenforscher. Dieser ist die Dachorganisation von 25 höhlenkundlichen Vereinen und 30 Schauhöhlenbetrieben mit 2500 Mitgliedern.

„Wir sind keine Extremsportler, keine Abenteurer und auch keine Tiefenalpinisten“, sagt Mattes, im Hauptberuf Historiker am Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Uni Wien. „Wir gehen immer mit einem wissenschaftlichen Interesse in eine Höhle. Beim Klettern mit einem Fixseil geht es nur darum, möglichst sicher ans Ziel zu kommen. Sportlichen Ehrgeiz gibt es da keinen, wir klettern auch niemals frei.“ Zwar seien nicht alle Höhlenforscher Akademiker, aber „alle haben eine Grundausbildung über das richtige Befahren von Höhlen bzw. auch über wissenschaftliche Methoden, wie man Proben entnimmt oder Höhlen vermisst und kartiert“.

Forschungsgebiete

Die wissenschaftlichen Themen seien vielfältig: Bei der Riesending-Schachthöhle (Schachthöhlen gehen mehr in die Tiefe als in die Horizontale) etwa gehe es vielfach um geologische und hydrologische Fragen – also etwa den Verlauf von Wasserströmen: „Dieser Karststock ist ein wichtiges Trinkwasserreservoir für Bayern und Salzburg.“ Höhlenforscher kartieren auch neu entdeckte Höhlenabschnitte, untersuchen die Tierwelt (z.B. Fledermausvorkommen) oder die Pflanzengesellschaften am Höhleneingang. „Wir führen auch Säuberungsaktionen durch und erhalten die alpinen Wege zu den Höhleneingängen. Umweltschutz ist heute ein zentrales Anliegen der Höhlenforschung.“

Wobei eine Abstiegstiefe von 1000 Metern auch für die meisten Höhlenforscher außerordentlich sei: „Das ist nicht der Normalfall. Meine größte Tiefe zum Beispiel waren 300 Meter. Umgelegt auf die Vielzahl an Höhlenbefahrungen durch Höhlenforscher passieren aber sehr wenige Unfälle“, betont Mattes. „Die meisten Verunfallten sind Touristen, die mit nur einer Lichtquelle in eine unausgebaute Höhle einsteigen und niemandem davon erzählen.“ In Österreich sind rund 15.000 Höhlen kartiert und vermessen, aber „es werden laufend neue Höhlen und Höhlenabschnitte entdeckt“.

Das längste Höhlensystem in der gesamten EU ist das Schönberg-Höhlensystem unter dem Schönberg zwischen Ebensee und Bad Ischl mit einer Ganglänge von 140 Kilometern.

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