Es ist sieben Uhr früh, als Stamatios Dourakas in sein Auto steigt – einen elektrisch betriebenen Audi, Kennzeichen VIEH 1. Auf dem Dach eine Tierarzt-Leuchte. Innen drinnen: Eine mobile Tierarzt-Praxis samt Laptop und Drucker.
Um 7.03 Uhr fährt er bei seinen ersten Patientinnen zur Morgenvisite vor. Auf der dreiminütigen Autofahrt hat sein Telefon bereits zweimal geklingelt: Eine Kuh hat Fieber, zwei andere sollen besamt werden. „Meine Bauern wissen, dass sie sich bis halb acht melden sollen, damit ich meine Tour planen kann. Sonst würde das nicht funktionieren“, erklärt der Tierarzt aus Schweiggers im Waldviertel (Niederösterreich). Organisation und Flexibilität sind in seinem Metier wichtig, wenn Akutfälle hereinkommen, werden andere nach hinten oder auf einen anderen Tag verschoben.
„Unbeliebte“ Nutztiere
Dourakas ist Landtierarzt, einer von knapp 700 in Österreich und gehört damit einer „bedrohten Spezies“ an. Denn immer weniger Veterinäre wollen sich den Nutztieren widmen.
Von den jährlich rund 220 Personen, die mit einem Veterinärstudium in Wien beginnen, schließen rund 150 dieses auch ab. Aber lediglich 80 Absolventinnen und Absolventen arbeiten dann auch tatsächlich als Tierarzt und wiederum nur 20 davon im Nutztierbereich auf dem Land. Dazu kommt, dass viele Landtierärzte schon bald in Pension gehen. Die so entstandenen Lücken können kaum mehr gefüllt werden. Ergebnis: In zehn Jahren werden österreichweit mehr als 100 Landtierärzte fehlen.
Stamatios Dourakas hupt vor dem Hof, damit der Bauer weiß, dass er da ist. Er trägt den für einen Arzt obligatorischen Kittel – allerdings in Blau und dazu kniehohe Gummistiefel. Seinen Arztkoffer nimmt er aus einer Schublade im hinteren Teil des Fahrzeugs. Dort hat er auch seine Apotheke und die Samenbank.
Er klettert über ein Gatter in den Stall, ein Ultraschallgerät mit Monitor hat er um den Hals baumeln. Über seinen rechten Arm streift er einen Plastikhandschuh, der bis zur Schulter reicht. Es gilt zu schauen, ob die Kalbinnen schwanger sind, die Besamung, die er vorgenommen hat, erfolgreich war. Für die Untersuchung muss er den Tieren seinen Arm einführen, das erfordert Kraft. Auch körperlich ist sein Beruf fordernd – und kann gefährlich werden, wenn Tiere aggressiv sind.
Das Ergebnis der Untersuchung: nicht schwanger. Im Auto wird über eine eigene Software dokumentiert, der Landwirt bekommt die Rechnung in die Hand.
Geldfrage
Was den Land- vom Stadtarzt unterscheidet, sind aber auch die Verdienstmöglichkeiten. Eine reine Zeitfrage: Denn während der Kleintierarzt in seiner Ordination viele Patienten in vergleichsweise kurzer und klar definierter Zeit behandeln (und dafür kassieren) kann, ist die (sehr flexible) Arbeit des Landtierarztes oft mit langen Anfahrtswegen verbunden. Entsprechend weniger tierische Patienten kann er versorgen. Dazu kommen die Kosten fürs Auto.
Ausbildung
Tierärzte werden an der Veterinärmedizinischen Universität Wien ausgebildet.
Tierärzte
Zwei Drittel der Absolventen arbeiten tatsächlich als Tierärzte – davon sind laut Österreichischer Tierärztekammer etwa 36 % Männer und 64 % Frauen. Im Nutztierbereich sind 70 Prozent männlich.
700
Nutztierpraktiker gibt es derzeit in Österreich.
Und: Heimtiere sind meist „Familienmitglieder“, hier wird von den Besitzern oft jede mögliche Behandlung verlangt – und bezahlt. Bei Nutztieren ist es meist eine Kosten-Nutzenrechnung.
Um 7.13 Uhr fährt Tierarzt Stamatios Dourakas beim Nächsten vor, hupt. Der Landwirt hat einen neuen Kittel und Stiefel für ihn parat, der Tierarzt zieht sich um: Es geht in den Stall zu einem sieben Tage alten Stier mit erhöhter Temperatur und Durchfall. „Eine Vorsichtsmaßnahme. Ich will natürlich keine Krankheit von einem Stall in den nächsten mitbringen.“ Der Arzt hört die Lunge mit einem Stethoskop ab, gibt eine Spritze. „Morgen komme ich wieder“, sagt er.
Um 7.33 Uhr hat Dourakas bereits bei einem anderen Hof zwei Kühe besamt. Ungefähr 1.500 Besamungen im Jahr macht er, früher seien es so 5.000 gewesen. Sein Tätigkeitsfeld hat sich in den 30 Jahren, in denen er als Landtierarzt unterwegs ist, verändert. „Früher waren es mehr Akutfälle, kleinere Betriebe, dafür mehr und im Zehn-Kilometer-Umkreis. Jetzt fährt man bis zu 25 Kilometer und manche haben schon 80 Tiere, da hat man dann gleich mehrere Routineaufgaben, ist als Tierarzt auch mehr Ratgeber“, erzählt er.
Tag und Nacht
Doch eines hat sich an den Anforderungen nicht geändert: Rund um die Uhr für die Landwirte und ihre Tiere da zu sein. „Die Visiten morgens und abends mache ich jeden Tag – auch am Sonntag, aber da wirklich nur die notwendigsten“, schildert er seinen Alltag. „In der Nacht zu einer Geburt wird man seltener gerufen – sofern es keine Komplikationen gibt, machen das die meisten Landwirte selbst.“ Seltener heißt: „Es kann zweimal pro Woche sein, dass du aufstehen musst, dann einmal eine Woche gar nicht.“
Dass sein Beruf – die meisten Patienten sind Rinder, aber die „Exoten“ würden mehr, sogar Kamele sind dabei, Alpakas seien schon Alltag – nicht besonders familienfreundlich ist, ist ihm bewusst. „Während im gesamten Bereich der Tierärzteschaft mehr als zwei Drittel Frauen sind, ist das Verhältnis im Nutztiersektor genau umgekehrt“, erzählt er.
Um 8.23 Uhr trifft er bei „Schnecke“ ein, sie hat ein Kalb „verworfen“ – also eine Frühgeburt gehabt. Der Tierarzt muss die Nachgeburt holen. Ein Kübel Wasser steht für ihn bereit. Die Gummistiefel werden zum fünften Mal an diesem Morgen abgewaschen.
Haustiere
Um 10 Uhr fährt der Doktor („eigentlich bin ich Magister“) in die Kleintierpraxis, die er gemeinsam mit seinem Sohn führt. Die Visite bei den Nutztieren ist beendet, Zeit für eine Kaffeepause. „Es ist wichtig, dass du auch Kleintiere machst, das ist eine gute Sicherheit“, betont er.
Hunde, Katzen, Hasen und Co. behandelt er also an manchen Tagen zwischen den Visiten bzw. geplanten Terminen bei den Betrieben – an diesem Tag ist das eine OP noch vor dem Mittagessen. Ein Rind hat ein Lipom über der Klaue, wegen Infektionsgefahr muss es weg. Der „Operationssaal“ ist hinter dem Stall im Freien. Die Utensilien für den Eingriff werden auf einer Doka-Platte säuberlich arrangiert. Alles verläuft gut, Elsa kann in den Stall zurück. Mittagspause.
Am Nachmittag sollen Kälber enthornt werden, bevor gegen 17 Uhr die Abendvisite beginnt, wieder acht oder neun Besuche. „Nicht alle Tage sind so, an manchen schwinge ich mich auch für ein paar Stunden aufs Rennrad dazwischen“, sagt er. Und dann: „Es ist ein schöner Beruf, ich würde ihn wieder wählen.“
Kommentare