Kulturgeschichtliches Gegacker: Neues Buch erzählt vom Huhn und vom Ei

Kulturgeschichtliches Gegacker: Neues Buch erzählt vom Huhn und vom Ei
Das intelligente Federvieh begleitet den Menschen seit Jahrtausenden. Ein neues Buch schildert unzählige Kuriositäten rund ums Ei und dessen Produzentinnen.

Nachdem Archäologen in den 1970er-Jahren am Stadtrand Wiens Awaren-Gräber entdeckt hatten, interpretierten sie die beiliegenden Hühnerknochen zunächst als Proviant für die Reise ins Jenseits. Doch aufwendige Analysen später stellte sich heraus, dass Männer mit Hähnen, Frauen mit Hennen, wohlgenährte Menschen mit sattem Geflügel bestattet waren. Die Völkerwanderer aus der Mongolei hatten im 6. Jahrhundert n. Chr. offenbar eine besondere Beziehung zum Federvieh; für die Forschung ein weiteres Indiz, dass die Domestizierung des wilden Bankivahuhns nicht auf dem Teller begann.

Die Wiener Awaren und ihre Gebeine sind Sally Coulthard nur eine Randnotiz wert. In „Am Anfang war das Huhn“ schildert die britische Anthropologin – rechtzeitig vor Ostern übersetzt – die facettenreiche „Geschichte eines Charaktertiers“. Vom Saurier bis zum gackernden Pandemie-Trend im Garten.

„Ich bin immer wieder vom Charakter und ihrer Intelligenz begeistert. Es sind liebenswerte Geschöpfe“, sagt die Hühnerhalterin. Mit ihrem Sachbuch wollte Coulthard nicht zuletzt der Frage nachgehen, „wie die Menschheit einen so großartigen Vogel in ein Produkt unwürdiger Massentierhaltung verwandeln konnte“. Für den KURIER hat die Bestsellerautorin ein paar persönliche Highlights aus den 300 dichten Seiten herausgepickt.

  • Moderne Dinos 

Hühner und Dinos sind Cousine und Cousin. Kollagen-Proben aus dem Inneren versteinerter Knochen zeigten Anfang der 2000er-Jahre, dass insbesondere der T-Rex enger mit Hühnern verwandt ist als mit irgendeiner anderen lebenden Vogelart.

Auch eine Studie an gefiederten Versuchskaninchen stellte diesen Zusammenhang her. Hühner, denen 2015 Pümpel ähnliche Schwänze ans Hinterteil montiert wurden, liefen, wie es nun von den fleischfressenden Räubern vor 68 Millionen Jahren vermutet wird.

  • Mütter der Nutztiere

Lange bevor Erbgut analysiert werden konnte, grübelten Gelehrte über die Vorfahren des Haushuhns. Schließlich identifizierte Edward Blyth um 1850 das Bankivahuhn als Mutter aller Nutztiere. Nach einem innigen Briefwechsel mit Charles Darwin nannte dieser denn in seiner berühmten „Über die Entstehung der Arten“ den englischen Ornithologen als Urheber der Idee. Kaum war das Buch in Druck, ruderte Darwin allerdings zurück und bezweifelte, dass alle „Geflügelzüchtungen aus den verbreiteten wilden indischen Vögeln hervorgegangen sind“. Welch ein Irrtum.

Zu der Zeit waren Hühner übrigens längst über den ganzen Globus verbreitet, ohne schwimmen oder wirklich fliegen zu können. Sie hatten die Welt an der Seite von Seefahrern erobert.

  • Übernatürliche Kräfte

Die alten Griechen waren von der Virilität der männlichen Vögel so überzeugt, dass sie den rechten Hahnhoden, in einem Widderfell an den Körper gebunden, als Aphrodisiakum empfahlen. In der chinesischen Mythologie wiederum galt der Hahn als „Vogel der fünf Tugenden“. Er stand für Weisheit, Wildheit, Mut, Menschlichkeit und Treue. Noch heute ist er dort Glückssymbol.

  • Kranke Massen

Während das Federvieh zunächst kultisch und kampfstark verehrt wurde, perfektionierten bereits die alten Ägypter die Massenproduktion. Sie ließen Eier in Öfen brüten und sorgten so für 13 Millionen Küken pro Jahr. Der französische Naturforscher René-Antoine Ferchault de Réaumur hielt Jahrhunderte später fest, dass um 1750 etwa 400 Brutöfen mit Platz für 40.000 bis 80.000 Eier existierten.

Für die Ei-Produktion im großen Stil wurden Hennen bald auf engsten Raum in Ställe gepfercht. Um Aggressionen zu reduzieren, sollten die Turbos Anfang des 20. Jahrhunderts Sonnenbrillen tragen – mit Drahtgestell, als Scheuklappen, Schnabel-Zwicker oder rosarot gefärbt. Die US-Erfindung setzte sich freilich nirgendwo durch.

  • Gesunde Verwendung

Hühner sind nicht nur Geschmackssache, ihr Protein verhalf auch der Medizin zu einer ihrer bedeutendsten Errungenschaften. In den 1920er-Jahren starteten Versuche, Hühnereiweiß für Impfungen nutzbar zu machen. Schließlich gelang es, ein winziges Loch in die Schale zu schneiden, Viren in die Membran zu injizieren und das Loch zu verkleben. Die im Inkubator schnell vermehrten Geflügelpocken konnten zu großen Mengen an Vakzinen weiter verarbeitet werden. Die Technik funktionierte genauso erfolgreich mit anderen Krankheitserregern.

Was den Osterhasen betrifft, streicht Sally Coulthard, aufgewachsen in Yorkshire, weggezogen und zurückgekehrt, – wie so oft – den britischen Aspekt hervor: Die in Deutschland geborene Herzogin von Kent versteckte einst für ihre Tochter entsprechend dem Brauch ihrer Heimat bunte Eier. Queen Victoria setzte die Tradition zur Freude ihrer Kinder fort. Sie hält bis heute an.

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