Klimawandel: Es wird ein Wein sein, und er wird anders sein
Keine Chance mehr auf Frost. Fritz Rieder bereitet seinem Warten ein Ende. Am 3. März schneidet er seine Trauben ab.
Etwa zehn Erntehelfer waren in Kleinhadersdorf bei Poysdorf (NÖ) im Weingarten. Sie schneiden die Trauben, zusammengeschrumpft wie Rosinen, von den Weinstöcken. Sechs Monate nach der Haupternte wird zu ungewöhnlicher Zeit nochmals gelesen. Etwa 1,5 Hektar seines Weingartens bewahrt Winzer Fritz Rieder jedes Jahr auf, um eines seiner bekannten Produkte zu machen: Eiswein.
Ein Nischenprodukt, wie er selbst sagt, aber eines, mit dem er sich in den vergangenen Jahrzehnten einen Namen gemacht hat. „Heuer wird es erstmals keinen Eiswein geben. Keinen bei uns hier. Und auch Deutschland ist ohne Eiswein“, erklärt der Weinbauer.
Indikatoren
Das hätte mit dem Klimawandel zu tun. Ein Thema, das Rieder, ein charismatischer, extrovertierter Mensch, sehr beschäftigt. „Auf der Skala von eins bis zehn bin ich beim Klimawandel auf 150. Da werde ich emotional“, sagt er. Der Rebstock ist für ihn „eine Zeigerpflanze“, ein Indikator für das, was da beim Klima gerade passiert. „Der Herr Hofrat in der klimatisierten Wiener Wohnung, der merkt vom Klimawandel noch lange nichts. Aber wir Weinbauern, wir sehen es jeden Tag.“
Fritz Rieder liefert die Daten, die anschaulich zeigen, was anders ist als noch vor ein paar Jahren. Dafür hat er mit Meteorologen geredet, mit der Zentralanstalt für Meteorologie. „Heuer liegen wir 2,7 Grad über dem Mittelwert. Ein Grad mehr, das wäre schon schlimm, aber 2,7 Grad – das ist eine Katastrophe.“
Entscheidend für den Eiswein sind sogenannte Eistage, also Phasen, in denen die Temperatur unter Null Grad bleibt. Von 1981 bis 2011 hätte es in St. Pölten im Schnitt 26 solcher Eistage gegeben. Heuer: Null. „Vor 40 Jahren, also noch in den 1980ern, hatten wir immer eine lange Phase mit Minus acht Grad und kälter. Ab Mitte Jänner gab es praktisch jedes Jahr für ein, zwei Wochen Dauerfrost“, erinnert sich Rieder.
Was bedeutete: ab Mitte Dezember war die Zeit, wo die Trauben für den Eiswein abgeschnitten wurden. Dafür braucht man mindestens Minus 7 Grad, damit das in den Beeren enthaltene Wasser kristallisiert. Heraus kommt ein besonderer Süßwein, eine Rarität für Weinliebhaber mit sehr langer Lagerdauer.
Heuer hat Rieder gewartet – bis vergangenen Montag. Da hatte es 16 Grad und es war wunderschön sonnig. In der Früh kontaktierte er den niederösterreichischen Kellereiinspektor. „Ich habe ihm gesagt, ich lese heute. Es wird eine Trockenbeerenauslese.“
Das ist per Definition etwas anderes als Eiswein: die Beeren sind eingeschrumpft und von Botrytis (einer Fäulnis) befallen. Der Saft ist extraktreich und süß. Rieder wird ihn „Sweet March“ nennen und ist gespannt, was in einem halben Jahr Kellereiarbeit daraus entstehen wird. „Der Wein ist keine Notlösung. Er wird wie Nougat schmecken“, glaubt er. „Jeder Wein hat seine Geschichte: dieser Wein wird davon erzählen, dass es in dieser Saison wegen des Klimawandels erstmals keinen Eiswein gegeben hat.“
Und wie geht es dem Grünen Veltliner, der wichtigsten Traube hier im Weinviertel generell? Fritz Rieder spricht von „einer tollen Sorte, die hart im Nehmen ist und sich gut anpassen kann. Vielleicht besser als der Mensch.“ Der Grüne Veltliner sei aber in seiner jetzigen Form bedroht. Seine Stilistik werde sich stark verändern. „Das fruchtige, frische, pfeffrige wird durch die heißen Sommer verloren gehen. Der Grüne Veltliner wird gehaltvoller, komplexer und intensiver werden“, sagt Fritz Rieder voraus. Nachsatz: „Nach wie vor ein geiler Wein, aber anders.“
Dass es Eiswein nie wieder geben wird, ist für Fritz Rieder mit diesem Winter eine sehr realistische Möglichkeit geworden. „Wir werden es nächste Saison erneut probieren, klappt es wieder nicht, müssen wir uns für die Zukunft etwas anderes überlegen.“
45,5 Tausend Hektar
Weingartenfläche wird bepflanzt. Etwa zwei Drittel mit Weißwein, ein Drittel mit Rotwein
Sortenliebhaber
Der Grüne Veltliner ist mit 47,1 % der gesamten Weißweinfläche unangefochten an der Spitze, vor Welschriesling, Riesling und Weißburgunder. Bei den Rotweinen führt der Zweigelt (42 % der Rotweinfläche) vor Blaufränkisch, Blauer Portugieser und Blauburger
Wo was wächst
Niederösterreich bleibt mit 28.145 ha oder 61,9 % das größte Weinbaugebiet Österreichs, gefolgt vom Burgenland mit 12.249 ha (27,0 %), der Steiermark mit 4.324 ha (9,5 %) und Wien mit 581 ha. Die geringsten Anbauflächen gibt es in Salzburg (7 ha) und Tirol (5).
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