Klimakrise: Kornkammer Marchfeld droht Halbierung der Ernte
Wie groß ist der Bedarf an Ackerflächen, damit sich Österreich weitestgehend selbst versorgen kann? Wie wird der Klimawandel, der längst in weiten Teilen Österreichs Auswirkungen hat, die Versorgungssituation ändern? Und welche Konsequenzen müssen wir, von der Politik über die Landwirte bis zu den Bürgern, daraus ziehen?
Solche Fragen versuchten die Experten der AGES, das ist die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, in einer Studie zu beantworten. Eines vorweg: Demnach herrscht dringend Handlungsbedarf.
Erwärmung bis zu 6 °C
Zu den Fakten: Die AGES-Studie „Bodenbedarf für die Ernährungssicherheit in Österreich“ geht von einem zu erwartenden durchschnittlichen Temperaturanstieg von 2,5 °C bis 6 °C in Österreich bis 2080 aus – je nach Klimamodell ist nämlich ein moderater als auch ein extremer Temperaturanstieg im Bereich des Möglichen. Damit wird sich regional auch die Menge an Regen, die fällt, verschieben. Im Osten dürfte aber weniger Regen fallen.
Das hat zur Folge, dass vor allem das Weinviertel und insbesondere das Marchfeld bis 2085 bis zur Hälfte der Produktion einbüßen könnte. Sowohl das Wald- und Mühlviertel als auch weite Teile der Steiermark und des Burgenlands müssen mit bis zu minus 30 Prozent rechnen. Profitieren würde fast nur das oberösterreichische Voralpengebiet. „Hier dürften die Temperaturen steigen, und die Niederschläge in etwa gleich bleiben, insgesamt verbessern sich damit die Bedingungen in Oberösterreich“, zitiert AGES-Experte Andreas Baumgarten noch den positivsten Aspekt aus der Studie. Denn: „Für ganz Österreich gehen wir von einem Rückgang der Erträge um bis zu 19 Prozent aus.“
Die Studie, erklärt Baumgarten weiter, behandle absichtlich ein Extremszenario, „immer unter der Annahme, dass alles sonst gleich bleibt. Also ohne zusätzliche Bewässerung der Ackerflächen, aber auch ohne mögliche Kalamitäten wie Schädlingsbefall.“ Die Studie soll darlegen, was uns bereits in den kommenden Jahrzehnten im Extremfall blühen kann.
Wie aber sieht die Versorgungssicherheit aus? Derzeit, zeigt die Studie, produzieren wir bei folgenden landwirtschaftlichen Produkten mehr, als benötigt wird: Weizen, Roggen, Triticale (Getreideart aus Weizen und Roggen), Gerste, Silo- und Körnermais, Zuckerrüben und Erdäpfeln (Kartoffeln). Beim Extremszenario der Studie errechneten die Forscher bis 2080 eine teils deutliche Unterversorgung bei fast allen Landwirtschaftsprodukten, vor allem bei Weizen, Triticale, Körnermais und Erdäpfel.
Ernteprognosen für die Ostregion sehen düster aus
Was muss passieren?
Was aber heißt das alles? „Wenn wir weitertun wie bisher, werden wir Probleme bekommen“, erklärt Experte Baumgarten. „Da nach wie vor rund 12 Hektar an Grünflächen jeden Tag verloren gehen, vor allem Bodenversiegelung durch Bauprojekte, schlagen wir vor, dass wir genau schauen müssen, wie wir ertragreiche Flächen gegen eine Versiegelung schützen, damit sie weiter in Produktion bleiben.“
Dann müsse man sich genau die Wasserversorgung in den gefährdeten Gebieten in NÖ, der Steiermark und im Burgenland anschauen. „Die Landwirte werden sich aber auch bei der Sortenwahl, was angepflanzt wird, neu orientieren müssen, etwa hin zu Sorten, die weniger Wasser brauchen.“
Sinnvoll seien auch neue Produktionsmaßnahmen im Ackerbau, damit die Böden die Feuchtigkeit besser und länger speichern können.
Zuletzt gibt der Experte zu bedenken, dass auch die Ernährungsgewohnheiten der Österreicher, besonders der Fleischkonsum, überdacht werden müssen – hin zu mehr pflanzlicher Nahrung. Und: Beim Futtermittel wird die Importabhängigkeit weiter zunehmen.
AGES-Studie: Bundesweit prognostizieren die Experten der Agentur für Ernährungssicherheit im Extremfall (deutlich wärmer, ungünstigerer Niederschlag) einen Ertragsrückgang von bis zu 19 Prozent.
Osten leidet: Am stärksten betroffen wären Weinviertel und Marchfeld (minus 48 Prozent), weite Teile der Steiermark und im Burgenland (minus 30 Prozent) als auch das Wald- und Mühlviertel (minus 28 Prozent). Oberösterreichs Ernten könnten profitieren und um 24 Prozent zunehmen.
Österreich importiert viel Soja
Die Bemühungen, die Eiweißlücke in der Tierfütterung in Österreich zu schließen, laufen. Österreich importiert jährlich rund 500.000 Tonnen Sojaschrot aus Nord- und Südamerika für die Fütterung von Schweinen und Rindern.
Dabei wurden in Österreich von 2010 bis 2019 die Anbauflächen für Soja von 34.221 auf 69.207 Hektar ausgeweitet. Die Sojabohnen-Gesamtproduktion in Österreich beträgt derzeit etwa 200.000 Tonnen. Die Hälfte des Ertrages wird für die Lebensmittelproduktion verwendet, der Rest geht in die Tierfütterung.
Müssen wir unsere Nahrungsgewohnheiten, wie den hohen Fleischkonsum ändern, wenn die Ernte-Erträge wegen des Klimawandels sinken? Diese Frage wird gerade heiß diskutiert.
Auch Getreide wird für die Tierfütterung verwendet. Von der Gesamterntemenge in Österreich von rund 1,25 Millionen Tonnen werden zwischen 20 und 25 Prozent direkt für die Nahrungsmittelproduktion verwendet.
Ein etwa gleich großer Anteil wird industriell verarbeitet und die restlichen 50 Prozent werden an Tiere verfüttert. Ob es künftig weniger Getreide für Tierfütterung oder industrielle Verwertung geben wird, ist kaum vorhersehbar
Hunger auf Fleisch
Die Welternährungsorganisation FAO geht wegen der wachsenden Weltbevölkerung von einer deutlich steigenden Nachfrage nach Fleisch aus. Wenn die Nachfrage steigt und es wegen des Klimawandels weniger Tierfutter gibt, dann muss man von höheren Fleischpreisen ausgehen. Um den Fleisch-Preis zu halten, müssten Anbauflächen, etwa in Südamerika, deutlich ausweitet werden, was jedoch den Klimawandel weiter beschleunigt.
Niedrigere Erträge pro Hektar würden auch die Biolandwirtschaft hart treffen. Die Ertragseinbußen verglichen mit der konventionellen Landwirtschaft betragen bis zu 49 Prozent. Weitere Rückgänge wegen des Klimawandels sind da nur sehr schwer zu verkraften.
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