Familien mit einem schwer kranken Kind stoßen oft an ihre Belastungsgrenzen. Hospiz- und Palliativeinrichtungen begleiten sie – aber es gibt zu wenige und die Corona-Pandemie erschwert die Arbeit.
10.02.21, 05:00
Von Doris Doppelhofer-Ahmovic
Muhammed-Mahir war drei Monate alt, als bei ihm schwere Hirnschäden festgestellt wurden. Der heute Fünfjährige leidet an epileptischen Anfällen, kann weder selbstständig sitzen noch gehen. Durch eine zentrale Sehstörung nimmt er nur Kontraste wahr. „Muhammed erkennt uns an den Stimmen, wenn wir mit ihm reden“, erzählt seine Mutter Sevda Aktas. Oft reagiere er darauf mit fröhlichem Quietschen, denn sprechen kann er nicht.
Die 36-Jährige kümmert sich rund um die Uhr um ihren Sohn – füttern, wickeln, umlagern, baden und therapeutische Übungen gehören seit Jahren zum gewohnten Tagesablauf. Die gemeinsame Zeit ist für die Mutter kostbar: „Ich will jede Sekunde mit ihm teilen, weil ich weiß, dass es vielleicht kein Morgen gibt.“ Die Wienerin musste bereits den Tod von zwei Söhnen verkraften: Semih-Halil starb mit sechs Monaten, Bedirhan mit neun Jahren an der gleichen genetisch bedingten Erkrankung.
Kinder zu Hause pflegen
In Österreich sind rund 5.000 Kinder unheilbar krank. Es gibt 31 pädiatrische Hospiz- und Palliativeinrichtungen, die Kinder und deren Familien begleiten. Für Betroffene sind sie wie ein Rettungsanker: „Viele versinken zu Hause, das ist so viel Arbeit“, sagt Aktas, die vom Kinderhospiz Netz in Wien unterstützt wird.
Obfrau Sabine Reisinger gründete 2005 gemeinsam mit einer Palliativärztin Wiens erstes Kinderhospiz. Sie wollte Familien den Wunsch erfüllen, ihr todkrankes Kind aus dem Spital holen und in ihrem Zuhause pflegen zu können. Ihr selbst blieb diese Möglichkeit verwehrt: Ihre Tochter Lisa hatte bei der Geburt schweren Sauerstoffmangel, sie konnte die Intensivstation nie verlassen und starb nach 66 Tagen im Krankenhaus. Damals, 1997, gab es keine mobilen Kinderhospiz- und Kinderpalliativ-Teams.
Spendenfinanziert
Im letzten Jahr wurden 53 Familien vom Kinderhospiz Netz aufgefangen und zu Hause unterstützt – durch Entlastungspflege, medizinische Begleitung, Therapieangebote und Sozialarbeit. Anders als beim Erwachsenenhospiz werden die Kinder ab Diagnosestellung und oft viele Jahre begleitet. „Die Lebensverkürzung kann auch bedeuten, dass das Kind noch 10 bis 15 Jahre lebt“, erklärt Reisinger.
Das Kinderhospiz Netz betreibt seit 2016 Österreichs einziges Tageshospiz. Eltern können ihr erkranktes Kind dort für ein paar Stunden betreuen lassen. Sie haben dadurch etwas Zeit für sich oder ihre anderen Kinder, die im kräftezehrenden Alltag oft vernachlässigt werden. Während Muhammed im Tageshospiz ist, kann Aktas ihrer zwölfjährigen Tochter Sudenaz und ihrem Mann ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenken. „Lebensmittel einkaufen, spazieren gehen, ein Abendessen gemeinsam genießen. Für manche ist das ganz normal, für uns ist das Luxus“, sagt die Wienerin.
559 Kinder wurden 2019 von 14 mobilen Palliativteams in Österreich betreut.
215 Familien wurden 2019 von zwölf Kinderhospizteams begleitet.
235 Ehrenamtliche waren 2019 österreichweit für Kinderhospizteams tätig.
Eine Liste der Hilfsangebote gibt es unter www.kinder-hospiz.at
Auf Spenden angewiesen
Während des ersten Lockdowns von März bis Mai 2020 war das Tageshospiz geschlossen. Viele Eltern hatten Angst, dass sich ihr schwer krankes Kind mit dem Coronavirus infizieren könnte. Aktuell ist die Nachfrage wieder sehr hoch – genauso wie die Schutzmaßnahmen. Auch Hausbesuche werden nur in kompletter Schutzausrüstung gemacht. Einmal in der Woche werden alle Mitarbeiter auf Corona getestet. „Montag früh ist das Besprechungszimmer eine Teststraße, aber Gott sei Dank war noch nie jemand positiv“, so Reisinger.
Ein neues Projekt des Vereins ist das Wochenendhospiz, das nach einer Corona-bedingten Pause wieder stattfindet: Erkrankte Kinder können an einem Wochenende im Hospiz übernachten.
Obwohl die Begleitung von todkranken Kindern und deren Familien dringend benötigt wird, sind die Einrichtungen teilweise oder sogar zur Gänze von Spenden abhängig. Das Kinderhospiz Netz wird ausschließlich über Spenden finanziert. Die regelmäßigen Spendeneinnahmen seien vorerst geblieben. Reisinger befürchtet jedoch, dass die Auswirkungen der Corona-Krise viele Unterstützer erst später finanziell treffen könnte und somit auch die Spenden geringer werden. Ein Ansuchen für eine Förderung sei vom Fonds Soziales Wien abgelehnt worden.
Angebote fehlen
Um alle betroffenen Familien begleiten zu können, fehlen sowohl mobile als auch stationäre Angebote in den Bundesländern. In Vorarlberg gebe es noch kein mobiles Kinderpalliativ-Team, das Familien zu Hause betreut. Die mobilen Teams im Burgenland und in Kärnten seien noch sehr klein und könnten nicht alle Familien erreichen. Österreichweit gibt es lediglich ein stationäres Kinderhospiz mit psychosozialer Ausrichtung und in nur vier Krankenhäusern stehen pädiatrische Palliativbetten bereit. „Jeder Standort, wo es eine Kinderabteilung gibt, sollte zumindest ein pädiatrisches Palliativbett haben“, so Claudia Nemeth, Leitung Hospiz und Palliative Care für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene beim Dachverband Hospiz Österreich.
Am heutigen 10. Februar ist der deutsche Tag der Kinderhospizarbeit. Heuer wird ein Kinderhospiztag auch für Österreich ins Leben gerufen: Am 1. Juni wird zukünftig auf die Situation von Kindern mit lebensverkürzenden Erkrankungen und deren Familien aufmerksam gemacht.
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