Klima-Aktivisten: Weltenretter oder Staatsgefährder?
National Gallery, London. Aktivisten von „Just Stop Oil“ schütteten am Freitag Tomatensuppe auf ein Werk von Vincent Van Gogh.
Es soll über 80 Millionen Euro wert sein und wurde dabei nicht beschädigt. Die Aktion löste weltweit Entrüstung aus.
Szenenwechsel ins Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände, Wien. Die 13 Besucherplätze, graue Kojen, mit hellem Holz umrandete Fenster, sind gut gefüllt. Insassen mit dem Familiennamen A-K dürfen an diesem Dienstag Besuch empfangen.
Zwei Mal pro Woche ist das möglich. Der Besuch gilt Martha Krumpeck. Sie gehört zur „Letzten Generation“, sitzt wegen verschiedener Aktionen im friedlichen Widerstand eine Ersatzfreiheitsstrafe für über 40 Tage ab. Die Kommunikation erfolgt über zwei weiße Telefonhörer.
KURIER: Wie geht es Ihnen im Gefängnis, Frau Krumpeck?
Martha Krumpeck: „Ach, mir geht es gut, ich habe Sachen zum Lernen mit, da komme ich sonst nicht dazu.“
Ist der Widerstand das wert, eingesperrt zu sein?
„Mich stört es nicht, hier zu sein. Ja, es ist schade, keine Menschen umarmen zu können. Aber es ist nötig. Whatever it takes.“
Molekularbiologin als Aktivistin
Krumpeck ist 31, Molekularbiologin und hat ihr Medizinstudium fast abgeschlossen, nur die Diplomarbeit „hängt“. Sie arbeitet an Forschungsprojekten. Und sie liest seit Jahren wissenschaftliche Berichte über den Klimawandel. Was sie da liest, ist „viel schlimmer, als alles, was wir uns vorstellen können“. Sie ist besorgt. Nein, verzweifelt: „Die Jugend steht seit Jahren auf der Straße, aber nichts passiert. Die Regierungen schicken alle wissentlich und willentlich in den Tod.“ Deshalb stelle sie sich „dem Wahnsinn entgegen.
Wie stehen Familie und Freunde zu Ihren Aktionen?
„Meine Eltern führten vor der Pension einen landwirtschaftlichen Betrieb in der Nähe von Eisenstadt. Ihnen wäre es lieber, ich würde brav eine Familie gründen und Kinder bekommen. Ich würde mir mehr Verständnis erhoffen, aber sie sind aus einer anderen Generation. Ich will, dass die Kinder meiner Freundinnen so gut wie noch möglich leben können. Dass sie nur ein paar gute Jahre haben, wie eine Freundin sagt, ist mir zu wenig.“
Im Visier des Verfassungsschutzes
Alle schönen Aktionen hätten nichts gebracht, sagt Krumpeck. „Aber das Ignorieren darf so nicht weitergehen“. Ignoriert wird die „Letzte Generation“ allerdings nicht. Zumindest nicht von der Polizei. Mehr noch: Das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) ist an den Klimaschützern dran. Gegen ein Mitglied läuft ein Strafverfahren nach einer misslungenen Aktion im Naturhistorischen Museum, bei der Krumpeck dabei war. Ein Aktivist wollte sich an das Gestänge eines Dinosauriers kleben, der KURIER berichtete. Die Einvernahmen führt das LVT, „laufende Ermittlungen oder Observationen“ werden nicht kommentiert.
Warum dieser Aktionismus? Glauben Sie, damit jemanden überzeugen zu können?
„Wir wollen nicht mehr überzeugen. Wer es heute nicht begriffen hat, will es nicht begreifen. Wir stellen uns dem Wahnsinn in den Weg. Wir müssen unignorierbar sein. In Großbritannien hat es eine Gruppierung geschafft, mit friedlichem Widerstand in nur drei Wochen bei drei Viertel der Bevölkerung bekannt zu sein. Auch da sind viele eingesperrt worden, aber die Forderung, dass Häuser isoliert werden, ist umgesetzt worden. Der Weg, Dinge zu verändern, führt über die Gefängnisse. Wir werden uns wieder und wieder in den Weg stellen.“
Neue Leute beim Aktionstraining
An diesem Dienstag Abend stehen, nur ein paar Hundert Meter vom Polizeianhaltezentrum entfernt, zehn Leute am Radweg zwischen den U-Bahn-Stationen Friedensbrücke und Rossauer Lände. Aktionstraining ist angesagt.
Eine davon ist Caroline Thurner. Freundin von Krumpeck und Gründungsmitglied der „Letzten Generation“. Sie ist eine „Bienenkönigin“, das heißt, sie leitet die Blockade-Einsätze. Thurner ist 52 Jahre alt, Chemikerin, Grundlagenforscherin mit Doktortitel, danach das FH-Studium „Urbane erneuerbare Energiesysteme“. Sie arbeitet am Österreichischen Institut für Bauen und Ökologie, hat sich schon mehrmals auf die Straße geklebt, in Wien und Berlin.
Ihr Dienstgeber „schluckt, aber er sagt nichts“. Am Dienstag leitet die Bienenkönigin das Aktionstraining, die Mindestanforderung, damit jemand an einer Straßenblockade mitmachen darf. Die Teilnehmer sind neu, wollen sich der Gruppe anschließen. Ein Beamter etwa, der seinen Namen nicht, zumindest noch nicht, in der Zeitung lesen will.
Sorgen die Aktionen nicht für Verärgerung beim Rest der Bevölkerung?
„Die Leute mögen uns nicht. Aber die Botschaft kommt an, das Thema rückt ins Zentrum. Wir merken, dass die Bereitschaft gestiegen ist, selbst etwas zu tun.“
Ihre Vorgangsweise wird oft als radikal kritisiert.
„Radikal ist es, Kinder in einen Schulbus zu stecken, der zu 98 Prozent tödlich verunglücken wird. Heute noch Straßen zu bauen, ist radikal. Das ist Terrorismus.“
Das sagt übrigens auch Antonio Guterres, der Generalsekretär der Vereinten Nationen. Er gilt als Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel und mahnt die Regierungen, die nötigen Maßnahmen zur Abwendung einer Klimakatastrophe zu setzen.
Menschen auf der Straße
Die Teilnehmer am Training wirken auch gar nicht radikal. Florian Wagner etwa, aus dem Waldviertel. Der 30-Jährige lebt in Wien, hat Agrarwissenschaften und Volkswirtschaftslehre studiert, arbeitet an einem Wissenschaftsinstitut und berechnet die Klima- und Energieeffizienz von Gebäuden. Warum er mitmacht? „Ich bin verzweifelt, ich möchte meine Verzweiflung auch öffentlich zeigen.“ Seinen Eltern hat er es noch nicht erzählt, obwohl „es im Waldviertel schon angekommen“ ist, dass der Klimawandel eine Bedrohung für die Menschheit darstellt: „Bei der Bewusstseinsbildung stehen wir an.“ Das will er mit dieser Form des friedlichen zivilen Widerstands durchbrechen.
Auch Claudia Almer hat noch niemandem von ihrem Engagement erzählt. Die 21-jährige Niederösterreicherin aus dem Tullnerfeld war beim Roten Kreuz und wechselt in die Jugendarbeit. Sie geht auf die Straße, „weil ich gerne eine Zukunft hätte und es satthabe, dass nichts getan wird. Wir müssen die Leute wachrütteln, es ist frustrierend, dass das noch nicht gelungen ist.“ Ihre Freunde will sie jedenfalls motivieren, auch mitzumachen.
Barbara Schmidt aus Baden könnte ihre Mutter sein. Die 59-jährige Angestellte aus Baden bei Wien hat zwei Enkelkinder, eineinhalb und vier Jahre alt: „Ich mache mit aus Hilflosigkeit und Frust. Und aus Verantwortung für die Kinder und Enkelkinder.“ In ihrem Umfeld wurde ihr Engagement mit Erstaunen wahrgenommen, aber „für gut befunden“.
Die Entstehungsgeschichte
David Sonnenbaum von der „Letzten Generation“ erzählt gerne die Geschichte der „Freedom Riders“, die in den 1960-er-Jahren in den USA die getrennten Sitzplätze für Schwarze und Weiße zu Fall gebracht haben und dabei anfangs staatlicher Gewalt, aber auch der Gewalt von Bürgern ausgesetzt waren. Gewalt von Autofahrern erleben die Aktivisten der „Letzten Generation“ auch, es kommt immer wieder zu tätlichen Angriffen.
In Großbritannien hat es die Gruppierung „Insulate Britain“ geschafft, mit friedlichem Widerstand in nur drei Wochen bei der Bevölkerung bekannt zu sein. Viele wurden eingesperrt. Aber: Ihre Forderung, die Häuser zu isolieren, um Energie zu sparen, wurde umgesetzt.
In zwölf Ländern gibt es derartige Gruppierungen, die mit Minimalforderungen in Aktion treten. „Just Stop Oil“ heißt die aktuelle in England, in Deutschland geht es um ein Tempolimit auf Autobahnen, ebenso in Österreich. In Deutschland zählt die Gruppe von 30 auf rund 500 Mitglieder gewachsen, in Österreich sind es knapp 30. Tendenz steigend.
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