Keine offiziellen Zahlen zu Neuinfektionen: Was dahinter steckt
Omikron treibt die Zahl der neuen Fälle nach oben. Am Mittwoch wurde mit 27.677 Neuinfektionen ein neuer Höchstwert gemeldet. Mit Spannung wurden somit die gestrigen neuen Fälle erwartet - doch das Warten war vergebens. Erstmals wurden aus den Ministerien keine finalen Daten veröffentlicht.
Laut den Rohdaten im Epidemiologischen Meldesystem (EMS) wurden von Mittwoch auf Donnerstag 25.592 Neuinfektionen eingemeldet. Darin stecken allerdings Doppelmeldungen aus den Bundesländern, die bereinigt werden müssten. Das ist nicht rechtzeitig geschehen.
Das Gesundheitsministerium ließ wissen, dass die Einmeldesysteme - also auch das EMS - uneingeschränkt und ohne Störungen funktionieren würden. Aufgrund der hohen Fallzahlen könne es allerdings zu Verzögerungen kommen.
Damit ist wohl auch in den kommenden Tagen noch zu rechnen. Man arbeite jedoch mit Hochdruck an einer Optimierung der Prozesse zur Publikation der Fallzahlen in Österreich, so das Ministerium.
Immer wieder technische Probleme
Das EMS war in den letzten drei Jahren immer wieder ein Fall für negative Schlagzeilen, weil es "technische Probleme" gegeben hat, wissen die Kollegen von der futurezone zu berichten.
Am 11. November 2021 berichtete etwa orf.at "IT-Problem verursacht CoV-Rekordwerte", denn es hatte zahlreiche Nachmeldungen gegeben, weil die Datenbank des EMS Probleme machte. Am 22. November berichtete Der Standard "Überlastete Corona-Datenbank kämpft seit Pandemiebeginn mit technischen Problemen“ und am 5. Jänner 2022 hieß es: "Zahlen-Chaos: Erneut Probleme beim EMS vor einem Gipfel".
Gesundheitsministerium: EMS läuft 24/7
Laut Gesundheitsministerium ist das EMS "seit Anbeginn der Pandemie durchgängig 24/7 zur Verfügung gestanden". Das widerspricht jedoch Informationen, wonach gerade die Datenbank immer wieder Ausfälle verzeichnet hatte, und Daten nicht rechtzeitig eingemeldet werden konnten.
Wenn sich Corona-Daten verspäten, hat das meist nichts mit "technischen Problemen des EMS" zu tun, heißt es. Die Zahlen, die etwa um 9.30 Uhr veröffentlicht werden, stammen nicht aus dem EMS, sondern werden von der AGES bereit gestellt - und laut Statistikern sind es oft diese Daten, die zu spät kommen. Doch wo liegt nun der Flaschenhals, wenn es einmal wieder heißt, beim EMS gebe es "technische Probleme"?
Dazu will das Gesundheitsministerium trotz mehrmaligen Nachhakens der futurezone-Kollegen nichts sagen: "Aufgrund der Komplexität der Einmeldeprozesse - derzeit sind über 250 Labore österreichweit angebunden - kann es zu Verzögerungen kommen. Hierbei können sich die Probleme unterschiedlich darstellen. Es erfolgt jedenfalls eine entsprechende Analyse und deren Erkenntnisse werden in den Verbesserungsprozess aufgenommen.“
Diese Antwort erklärt leider nicht, was nach drei Jahren Pandemie falsch oder richtig läuft beim EMS.
"Vereinzelt zu späte Veröffentlichungen"
Datenanalyst Markus Hametner, der einen täglichen Newsletter mit aktuellen Corona-Zahlen betreibt, bestätigt gegenüber der futurezone, dass sich die Anzahl der Datenverspätungen zuletzt stark in Grenzen hielt. "Im ersten Pandemiejahr war es gefühlt regelmäßig der Fall, dass Daten zu spät eingemeldet worden sind. In letzter Zeit gab es nur mehr äußerst vereinzelt zu späte Datenveröffentlichungen."
Der letzte Ausfall der Nachmittagszahlen sei am 14. November 2021 registriert worden. Das wäre tatsächlich eine relativ lange Periode der verlässlichen Datenlieferung über das EMS-System.
"Eine gewisse Verlässlichkeit ist meiner Meinung nach unerlässlich. Einerseits ermöglicht nur das die Weiterverwendung der Daten. Andererseits ist sie auch nötig, um Verschwörungstheorien schon von vornherein zu verhindern. Alles, was Vertrauen in die Zahlen und in die Veröffentlichungspolitik untergraben könnte, ist in einer solchen Situation nicht wünschenswert und sollte von Behördenseite vermieden werden", sagt Hametner.
Für den Datenanalysten ist in dieser Hinsicht auch ein Problem, dass das EMS die Informationen aus neun eigenen Ländersystemen zusammensammelt, und es so seit Anbeginn der Pandemie immer wieder zu unterschiedlichen Zahlen kommt. "Das ist ein über einem Jahr bestehendes Schnittstellenproblem."
Sicherheitslücken
Für die Datenschützer von epicenter.works gibt es mit dem EMS noch weitere Probleme: die Sicherheit des Systems. Im Dezember 2021 hat der Verein aufgedeckt, dass es über eine Sicherheitslücke möglich ist, auf das EMS ohne Eingabe von Passwort oder Username zuzugreifen und man lediglich ein Client-Side-Zertifikat benötigt.
Den Mitarbeiter*innen eines Labors, das Tests auswertet und ins EMS einmeldet, wurden die Zertifikate sogar per E-Mail zugeschickt, damit sie von zuhause auf ihren Privatrechnern Zugriff auf das EMS haben. Generell hat außerdem eine relativ große Anzahl von Menschen und verschiedenen Stellen Zugriff auf das System - und das, obwohl es sich bei den Daten um sensible Gesundheitsdaten handelt.
Die entdeckte Schwachstelle war jedenfalls eine unfassbare Sicherheitslücke, die so niemals existieren dürfte. Das Gesundheitsministerium beantwortete die Anfrage der futurezone, ob dieses System mittlerweile umgestellt wurde und das Problem mit dem Sicherheitsleck gelöst sei, nur mit folgendem Satz: Zertifikate seien niemals an Mitarbeiter*innen per E-Mail verschickt worden. Es sei laut Gesetz ein "medienbruchfreier Prozess" vorgesehen. Merkwürdig ist daran nur, dass für Labore eine PDF-Liste auf der Website des Gesundheitsministeriums mit Kontaktmöglichkeiten bereit gestellt wird, wenn es um Meldungen ans EMS geht. Diese Kontaktmöglichkeiten bestehen aus E-Mail-Adressen.
Thomas Lohninger von epicenter.works bestätigte, dass die Lücke bisher seit knapp einem Monat noch nicht behoben worden sei: "Weder wurde die von uns damals aufgedeckte Lücke bisher geschlossen, noch kam es zu einer Überprüfung, ob durch das EMS Daten abgeflossen oder manipuliert wurden."
Wie das EMS entstanden ist
Der Wiener Gesundheitsstadtradt Peter Hacker (SPÖ) erklärte im November, dass die Datenbank, die dem EMS zugrunde liegt "eigentlich ausgelegt ist, um 7.000 Salmonellenfälle im Jahr zu dokumentieren“, und nicht, um damit eine Corona-Pandemie zu meistern.
Tatsächlich wurde das EMS bereits lange vor der Pandemie eingeführt - und zwar als „Instrument zur Vorbeugung bzw. zur Früherkennung und zur raschen Bekämpfung von Infektionskrankheiten“. 2009 wurde die erste Version des EMS gelauncht und damals gab es schon die ersten Probleme.
Die AGES berichtete in einem alten Jahresbericht darüber, dass es anfangs "große Schwierigkeiten bei der Dateneingabe und der Datenanalyse" gegeben haben soll.
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