Kein Strafrichter für "Po-Grapscher"

Hon.Prof. Dr. , Eckart RATZ,Präsident des OGH, Gericht, Gerichtshof
Der Präsident des Obersten Gerichtshofes, Eckart Ratz, hält es für übertrieben, sexuelle Belästigung mit dem Strafrecht zu ahnden.

Justizministerin Beatrix Karl hat eine Expertenkommission zur Modernisierung des Strafgesetzbuches eingesetzt. Der KURIER bat zwei prominente Mitglieder, den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Eckart Ratz und die Rechtsprofessorin Susanne Reindl-Krauskopf (siehe Artikelende), um ihre Reformvorschläge.

KURIER: Veruntreuung ab 50.000 Euro ist mit bis zu zehn Jahren Haft bedroht, auf Körperverletzung mit Siechtum stehen höchstens fünf Jahre. Soll man dieses Ungleichgewicht beseitigen? Eckart Ratz: Das ist eine politische Entscheidung, ich will daher nur Gesichtspunkte zur Abwägung darlegen. Durch strengere Bestrafung von Delikten gegen Leib und Leben kann auch der White-Collar-Täter (Wirtschaftskrimineller mit weißem Kragen, Anm.) unsachlich bevorzugt werden. Derjenige, der unter Alkohol zuschlägt, muss kein schlechterer Mensch sein als derjenige, der entschlossen jemanden betrügt. Wenn jemand einen Gutteil seiner Lebensverdienstsumme durch einen Betrüger verliert, trifft ihn das vielleicht mehr als drei Wochen Streckbett.

Die Gerichte sind mit der Bearbeitung von Bagatelldelikten eingedeckt. Sollte man kleine Diebstähle oder Sachbeschädigungen mit geringem Schaden nicht straffrei machen? Das Strafrecht lebt von klaren Grenzen, etwa: Du sollst nicht stehlen! Wenn man dann sagt, aber 100 Euro kannst du doch stehlen, wird Stehlen nicht mehr als kriminell erlebt. Ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich einmal zu schnell gefahren bin, ohne jemanden zu gefährden. Daher ist das zu Recht eine Art Ordnungswidrigkeit. Beim Strafrecht sollte jeder unmittelbar einsehen können: Das tut man nicht! Schon das Mitgehenlassen von Parfum in einem Supermarkt ist für mich etwas grundsätzlich anderes als Falschparken.

Ist die sexuelle Belästigung wie das „Po-Grapschen“ in der U-Bahn ein Fall für den Strafrichter? Manche Politiker fordern das. Man sollte das Strafrecht nicht zu früh einsetzen. Sonst produziert man Märtyrer. Unmündige zu sexuellen Handlungen zu verführen, ist unerträglich, das ist ganz klar. Aber für manche Belästigung genügen durchaus andere Sanktionsmechanismen. Dafür könnte es zum Beispiel Verwaltungsstrafen geben. Das Strafrecht ist schon die nächste oder übernächste Stufe, eine Art Brandmarken. Zu früher Einsatz bringt das ganze System ins Wanken.

Eine Vereinfachung und Straffung des Strafgesetzbuches würde es verständlicher machen. Reicht nicht zum Beispiel ein Sammeldelikt für die Delikte Vorteilsannahme, Vorteilszuwendung, Bestechlichkeit, Bestechung, Geschenkannahme? Das Problem ist: Es darf nicht zu detailliert, muss aber trotzdem scharf formuliert sein. Es dürfen also kein Gummiparagrafen sein, in den man alles hinein- und aus dem man alles herauslesen kann. Und das führt dann zu verschiedenen Tatbeständen gegen Korruption.

Ein besonderes Problem stellt sich bei Delikten wie bei sogenannten Mafiaparagrafen, die Vorbereitungshandlungen für Schwerkriminalität erfassen sollen. Diese Bestimmungen kann man schwerlich einfach abschaffen: Die Mafia wollen wir ja nicht. Vor Gericht sollte man allerdings gleich schauen, ob man die vom Gesetz verlangte Art mafiöser Verstrickung beweisen kann, und wenn nicht, muss man das Verfahren rasch beenden.

Das hat beim Tierschützerprozess in Wr. Neustadt mehr als ein Jahr gedauert. Rasche Entscheidungsfindung ist im Strafverfahren überhaupt besonders wichtig: Ein Sozialarbeiter hat einem Häftling die Post von einer Anstalt in eine andere nachgeschickt und unterschrieben: „Der Anstaltsleiter. Im Auftrag...“. Der Häftling hat ihn angezeigt wegen Erschleichung eines Amtes und Amtsanmaßung. Hätte der Staatsanwalt das vom Blatt weg abgelegt, wäre die Sache, an der von vornherein nichts dran war, gleich erledigt gewesen. Statt dessen wurde der Anstaltsleiter zur Stellungnahme aufgefordert und durch diese Ermittlung ein Strafverfahren begonnen, was einen ganzen Rattenschwanz von Verfahrenshandlungen nach sich gezogen hat. Der Fall landete letztlich vor dem OGH. Zuerst scharf nachdenken, dann handeln, schont die knappen Ressourcen der Justiz und setzt Angezeigte nicht unnötig dem Stress eines Strafverfahrens aus.

Das Strafgesetzbuch: 40 Geburtstag

8 Experten werden in den kommenden Monaten das Strafgesetzbuch (StGB) durchleuchten, zu seinem 40. Geburtstag im Jahr 2015 soll es runderneuert sein. Antiquierte Tatbestände wie „Unterschiebung eines Kindes“ werden dann nicht mehr enthalten sein. Das StGB geht auf die Constitutio Criminalis Theresiana aus 1768 zurück, wurde mehrmals reformiert, zuletzt unter Christian Broda 1975. Es enthält Tatbestände und die dafür vorgesehenen Strafen.

Die stellvertretende Dekanin des Instituts für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien, Susanne Reindl-Krauskopf, will ein Strafgesetzbuch für jedermann. „Wenn ich das Buch aufmache, soll ich genau sagen können: Wenn ich das tu’, dann ist es strafbar.“

Die Strafdrohungen bei Delikten gegen Leib & Leben und gegen das Vermögen hält die Rechtsprofessorin für ungleich verteilt. Etwa bei vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge, auf die genau so ein bis zehn Jahre Haft stehen wie beim Diebstahl ab 50.000 Euro. „Das bedeutet nicht zwingend strengere Strafen bei Körperverletzung, aber das Gleichgewicht muss passen.“ Außerdem will sie die Rolle der Gewerbsmäßigkeit im Strafrecht zurück drängen. Ein Täter muss dafür keine 20 Einbrüche begangen haben. Derzeit genügt es dafür schon, dass er eine Tat in der Absicht begeht, sich laufend eine Einnahmequelle zu schaffen.

Reindl-Krauskopf spricht sich auch für gesetzliche Schnellschüsse unter dem Druck europarechtlicher Vorgaben aus, wie zuletzt beim Tatbestand Folter. Man habe daneben schon das Quälen von Gefangenen mit Überschneidungen und unterschiedlichen Strafdrohungen und müsse schauen, wie das in unser System passt.

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