Kein barrierefreies Wohnen: Wenn das Leben fremdbestimmt ist
Hermine Horwath* lebte mehr als 30 Jahre lang in einer Substandard-Wohnung ohne Dusche in Wien. Mehr als 30 Jahre lang musste die physisch und psychisch beeinträchtige Frau an der Spüle ihre Körperpflege in der Küche verrichten.
Die 75-Jährige, die von Mindestsicherung und Pflegestufe 3 lebte, sparte deshalb monatelang, um sich eine barrierefreie Dusche einbauen zu lassen.
Da der angesparte Betrag über dem erlaubten Vermögensfreibetrag lag, strich die Stadt Wien die Mindestsicherung der alten Frau – sie hätte nun ja genug Vermögen, von dem sie leben könnte. Dieser Fall steht exemplarisch dafür, wie groß die Herausforderungen für Menschen mit Beeinträchtigungen in Österreich sind, wenn es um selbstbestimmtes Leben geht.
„Oft nicht freiwillig“
„Menschen mit Behinderungen sollten selbst entscheiden, wo und mit wem sie leben möchten. In Österreich ist dies aber leider nicht der Fall, auch wenn es Artikel 19 der UN-Konvention vorsieht“, sagt Tobias Buchner vom unabhängigen Monitoringausschuss am Donnerstag. Es herrsche noch immer die Grundhaltung, dass Betroffene in Heimen gut aufgehoben seien. „Die Volksanwaltschaft überprüft diese Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Laut UN-Konvention ist die Unterbringung aber oft nicht freiwillig und somit menschenrechtswidrig“, so Buchner.
Dazu kommt die fehlende soziale und finanzielle Unterstützung, ergänzt Gerlinde Heim, Geschäftsführerin von Vertretungsnetz, ein Erwachsenenschutzverein. Julian Moser* zum Beispiel ist Mitte 20 und lebt in Oberösterreich. Er hat eine kognitive Beeinträchtigung und leidet an Depressionen. Sein Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe wurde abgelehnt.
Vom "Vermögen" der Freundin leben
Moser zog daraufhin zu seiner Freundin. Seine Lebensgefährtin hat selbst zwar nur ein geringes Einkommen, aber dafür ein Sparbuch, auf dem mehrere Tausend Euro liegen. Aus diesem Grund wurde auch der Antrag auf Sozialhilfe für Moser abgelehnt. Die Begründung: Er soll nun vom „Vermögen“ seiner Freundin leben. „Ohne Sozialhilfe bekommt Herr Moser aber auch keine Krankenversicherung. Bei seiner Freundin kann er sich erst mitversichern, wenn die Haushaltsgemeinschaft seit 10 Monaten besteht“, sagt Heim. Allein die Tatsache, dass der junge Mann also bei Angehörigen lebt, führt dazu, dass er durch alle sozialen Auffangnetze fällt.
Sensibilisierung
Seit 1999 findet jährlich am 3. Dezember der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung statt. Ziel ist es, die Öffentlichkeit für die Probleme von Menschen mit Behinderung zu sensibilisieren.
1,9 Millionen
Österreicher sind laut Angaben des Gesundheitsministeriums bei „Aktivitäten des Alltagslebens gesundheitsbedingt etwas oder stark eingeschränkt“, leben also gemäß GALI-Definition (Global Activity Limitation Indicator) mit Behinderungen. Die Daten beziehen sich auf Personen zwischen 15 und 89 Jahren, die in Privathaushalten leben
Auf Spenden angewiesen
Moser ist derzeit auf Spenden angewiesen, die Situation ist dementsprechend prekär. Aber nicht alle Menschen mit Beeinträchtigungen können bei Angehörigen leben. Elvira Buchacher* etwa lebt in Kärnten und arbeitete ihr Leben lang als Bäurin. Sie hat eine psychische Grunderkrankung und ist seit einigen Jahren auch dement.
Die 85-Jährige wohnte lange Zeit allein – mit der Unterstützung ihrer Kinder. Doch irgendwann war dies nicht mehr möglich, Buchacher wollte aber weiterhin zu Hause leben. Das Einzige, was sie dafür gebraucht hätte, wäre ein mobiler Betreuungs- bzw. Pflegedienst gewesen.
Doch in Oberkärnten fehlt das nötige Pflegepersonal. „Es gelang nicht, die mobile Pflege und Betreuung zu organisieren, weswegen Frau Buchacher ins Pflegeheim übersiedeln musste“, schildert die Geschäftsführerin des Erwachsenenschutzvereins. Dort wolle sie aber nicht bleiben; sie habe mehrfach geäußert, aus dem Fenster springen zu wollen.
"Schließung aller Institutionen"
Was braucht es nun, um den Menschen mit Beeinträchtigungen ein selbstbestimmtes Wohnen zu ermöglichen? „Wir fordern unter anderem einen flächendeckenden Ausbau von gemeindenahen Unterstützungsdiensten, eine Schließung aller Institutionen, Sofortmaßnahmen für Härtefälle sowie eine ernsthafte Budgetplanung für alle Maßnahmen“ so Buchner.
* Namen geändert
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