Kampusch blitzte vor Gericht ab

Autor Reichard mit Natascha Kampusch
Geheime Videoprotokolle: Entführungsopfer wehrte sich gegen Buch, doch es darf am Markt bleiben

Das Buch „Der Entführungsfall Natascha Kampusch – Die ganze beschämende Wahrheit“ muss nicht vom Markt genommen werden, mögen einzelne Passagen auch für das Opfer beschämend sein. Jedermann darf die Protokolle der bisher geheim gehaltenen, von Entführer Wolfgang Priklopil während der Gefangenschaft gedrehten, Videos lesen.

Mit dieser Entscheidung endete am Mittwoch vor dem Landgericht Köln der von Natascha Kampusch angestrengte Prozess gegen den Münchner Riva Verlag, den das nicht persönlich vor Gericht erschienene Entführungsopfer damit verloren hat. Laut Riva-Pressesprecher Julian Nebel vermisste der vorsitzende Richter Dirk Eßer bei dem Antrag von Kampusch auf einstweilige Verfügung, das Buch vom Markt zu nehmen, die Dringlichkeit. Sie habe seit langem wissen müssen, dass die Videos beschrieben werden.

KZ-Vergleich

Kampusch bestreitet, dem Autor Peter Reichard die Erlaubnis erteilt zu haben, die Video-Protokolle im Epilog des Buches zu verarbeiten und zu beschreiben. "Er hat es ja gewertet und kommentiert", sagte der Wiener Anwalt von Kampusch, Gerald Ganzger, im Vorfeld des Prozesses zum KURIER. Er verweist auf Passagen, in denen Kampusch als bis auf die Knochen abgemagerte Sklavin beschrieben wird, die ihrem Gebieter demütig gehorchen musste. Vor allem aber wehrt sich Ganzger gegen die "Wertung" des Autors, Kampusch habe wie eine KZ-Insassin ausgeschaut: "Das ist pietätlos und verletzend."

Richter Eßer wies jedoch darauf hin, dass Kampusch in ihrem eigenen Buch 3096 Tage ganz ähnliche Szenen beschrieben habe, damit seien sie öffentlich.

Kampusch war am 2. März 1998 als Zehnjährige auf dem Schulweg entführt worden und hatte sich am 23. August 2006 befreien können; Stunden später wurde Entführer Priklopil von einem Zug überfahren.

Der Ex-Kripo-Beamte Reichard hatte zehn Jahre recherchiert, mit Kampusch und ihrer Familie gesprochen und sich im Verlies im Haus von Priklopil in Strasshof, NÖ, umgeschaut, in dem Kampusch über acht Jahre gefangen gehalten worden war.

Der Riva Verlag argumentierte, Natascha Kampusch habe von 17. bis 20. Dezember 2015 Gelegenheit gehabt, das Manuskript durchzulesen und Änderungswünsche anzubringen, die allesamt erfüllt worden seien.

Anwalt Ganzger kann darin keine Zustimmung zur Veröffentlichung der Videoprotokolle, geschweige denn zur Kommentierung, erkennen. Zumal diese in dem Manuskript gar nicht enthalten gewesen seien. Der Epilog wird von ihm als schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte gewertet. Das Gericht sah das offenbar anders, die schriftliche Entscheidung ergeht am 1. Juni.

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