Kampf gegen das Fieber am Gletscher
„Unsere Kinder werden die Gletscher als Erwachsene so nicht mehr erleben.“
Sara und Benni Nußbaumer, deutsche Urlauber aus Rheinland-Pfalz, haben das Naturwunder der Dachsteingletscher mit ihren beiden kleinen Söhnen Simon (2) und Jonas (4) ganz bewusst gewählt. Hunderten anderen Ausflugsgästen und Bergwanderern, die an diesem sonnigen Juli-Tag in 2700 Metern Seehöhe durch den sulzigen Schnee auf den Gletschern herumstapfen, ist wohl die Tragödie um das Naturschauspiel, das sich hier abspielt, nicht so bewusst.
Ausgelastete Dachstein-Gondeln bringen die Urlauber in die Winteridylle direkt an der steirisch-oberösterreichischen Grenze. Sechs Grad am Sommermorgen sind ob der wärmenden Sonne erträglich. Dohlen tanzen im Wind und suchen auf der Restaurant-Terrasse nach Futter. Am wenige hundert Meter entfernten „Hallstätter Gletscher“ am Weg zum Dachsteingipfel beobachten etliche Besucher die Szenerie mit Sorgenfalten. „In zwei Wochen ist hier der Schnee weg und das blanke Eis da“, sagt „BlueSky“-Meteorologe Klaus Reingruber.
Gletscherprojekt
Mit einer Lanze hat er gerade die vorhandene Schneemasse über dem Eis gemessen. 1,70 Meter sind von der sechs bis sieben Meter hohen Schneefracht aus dem Winter noch übrig. „Da vorne waren es nur noch vierzig Zentimeter. Für den 20. Juli ist das sehr wenig“, so Reingruber. Damit ist zu erwarten, dass auch die heurige Gletscherbilanz im Herbst negativ ausfällt. Seit 1981 ziehen sich die Zungen des „Hallstätter Gletschers“ jährlich um bis zu 40 Meter zurück. 2017 seien es 15 Meter gewesen, erzählt Reingruber Oberösterreichs Umweltlandesrat Rudi Anschober und der Klimatologin Helga Kromp-Kolb.
Veränderung
„Wenn man hier alle vierzehn Tage heraufkommt, bemerkt man die Veränderung mit freiem Auge“, sagt Reingruber. Er ist am Gletscherforschungsprojekt beteiligt, das das Land OÖ und die Energie AG OÖ seit 2006 finanzieren. 17 Beobachtungspegel, täglich automatisch geschossene Fotos und die regelmäßigen Messungen des Schneerestes, der den Gletscher schützen und speisen soll, sorgen für Alarm. „Die Gletscher sind das Fieberthermometer des globalen Klimawandels“, erklärt Anschober. Die Gletscherforschung müsse die Politik endlich zur radikalen Kehrtwende bewegen, fordert er.
Blickt man mit diesem Wissen rundum, zeigt sich der intensive Kampf der Menschen um die Dachstein-Gletscher-Idylle umso deutlicher. Ein dickes weißes Vlies, dass gegen die Sonnenwärme dämmen soll, bedeckt den beliebten „Eispalast“ bei der Bergstation. Eine Zunge des daneben für den Wintersport erschlossenen „Schladminger Gletschers“ ist ebenfalls abgedeckt. Sogar Liftstützen sind weiß umwickelt, um weniger Wärme ins Gletschereis weiterzuleiten. „Ob es hier im Jahr 2050 noch Gletschereis gibt, ist fraglich“, meint Reingruber. Dann werde auch die touristische Infrastruktur infrage gestellt werden, behauptet Kromp-Kolb. „Die Leute kommen wegen des Gletschers herauf“, sagt sie. Die Prognosen der Wissenschaft zum Klimawandel seien eingetroffen, allerdings schneller und brutaler als erwartet.
Wasserreservoir
Das Wegschmelzen der Gletscher wird auch zu wirtschaftlich-gesellschaftlichen Problemen führen. Der Dachstein speist die Trinkwasserressourcen des Salzkammerguts, den Hallstättersee und die Traun. „Mit 16 Wasserkraftwerken ist die Traun unser wesentlichster Fluss“, erklärt Werner Steinecker, Generaldirektor der Energie AG. 600.000 werden in OÖ mit diesem Strom versorgt. Regen, Schneeschmelze und Gletscherwasser sind das wichtigste Betriebskapital.
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