Jugendstrafvollzug: Fragezeichen und Reformversprechen
Nachdem am Dienstag vier weitere Missbrauchsfälle in Jugendgefängnissen bekannt geworden sind, gelobt das Justizministerium nun Besserung. Der Leiter der von Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) eingesetzten Task Force "Jugend U-Haft" will "über den Sommer" Neuerungen erarbeiten, die für jugendliche Tatverdächtige zu Verbesserungen führen und im Idealfall ihre U-Haft vermeiden, jedenfalls verkürzen sollen.
Nach den Vorstellungen von Michael Schwanda, Sektionschef für den Strafvollzug im Justizministerium, sollen zukünftig nach der Festnahme und Überstellung von Jugendlichen in eine Justizanstalt (JA) unverzüglich Vertreter der Jugendgerichtshilfe oder der Kinder-und Jugendanwaltschaft beigezogen werden. Sie sollen vor allem an den Einvernahmen der Beschuldigten durch den Staatsanwalt bzw. den Haft- und Rechtschutzrichter teilnehmen, der über die Verhängung der U-Haft entscheidet. Damit sollen Fälle wie jener des in einer Zelle der JA Wien-Josefstadt missbrauchten 14-Jährigen verhindert werden, der nach mehrwöchiger U-Haft und einer dabei erlittenen Vergewaltigung wegen verminderter geistiger Reife auf freien Fuß gesetzt wurde, nachdem ihm ein psychiatrisches Gutachten eine solche bescheinigt hatte.
Fußfessel und WGs
Grundsätzlich strebt der Leiter der Task Force "Jugend U-Haft" an, dass Verdächtige nach ihrer Festnahme vermehrt gegen gelindere Mittel auf freien Fuß gesetzt werden, "wobei wir dabei in Wien auf die Kooperation mit der Gemeinde Wien angewiesen sind". Schwanda möchte Möglichkeiten schaffen, jugendliche Straftäter bis zur Hauptverhandlung in betreuten Wohneinrichtungen bzw. im elektronisch überwachten Hausarrest unterzubringen.
Die sexuellen Übergriffe auf jugendliche Häftlinge in den Justizanstalten (JA) Graz und Linz hatten - wie auch der Fall des in der JA Wien-Josefstadt vergewaltigten 14-Jährigen - in den Hafträumen stattgefunden, erklärte der Leiter der Vollzugsdirektio, Peter Prechtl.
Die insgesamt vier angezeigten Missbrauchsfälle an jugendlichen Häftlingen sind bereits bei den jeweils zuständigen Staatsanwaltschaften anhängig. Im Fall des in der Vollzugsanstalt Gerasdorf vergewaltigten 16-Jährigen gibt es bereits eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt.
Grundsätzlich existiert nicht in jedem Gefängnis eine eigene Jugendabteilung. Solche weisen neben der JA Josefstadt die Anstalten in Graz, Klagenfurt, Linz und Innsbruck auf, erläuterte Prechtl. In kleineren Anstalten wie etwa der JA Steyr werden Jugendliche automatisch ins nächst größere Gefängnisse mit einer Spezialabteilung - im konkreten Fall Graz - verlegt.
In anderen Einrichtungen wie etwa der JA Ried, wo selten Unter-18-Jährige aufgenommen werden, ist es laut Prechtl üblich, dass diese mit so genannten jungen Erwachsenen - Männer im Alter zwischen 18 und 21 - in Hafträume gegeben werden. Die Gefahr, dass es zu körperlichen Übergriffen kommt, sei in diesen Fällen "relativ klein", betonte Prechtl. Am Brenzligsten sei es immer dann, "wenn mehrere Jugendliche auf einem Flecken zusammenkommen".
Fragezeichen in Graz und Gerasdorf
Unterdessen könnte der in Graz zur Anzeige gebrachte Missbrauchsfall in einer Jugendabteilung der Justizanstalt Jakomini laut Staatsanwaltschaft Graz gar keiner sein: Bei den Vernehmungen habe das 17-jährige Opfer erklärt, dass die sexuellen Handlungen in gegenseitigem Einverständnis passiert seien. Das Ermittlungsverfahren sei jedoch noch nicht abgeschlossen.
Angezeigt wurde der sexuelle Missbrauch eines 17-Jährigen an seinem gleichaltrigen Zellengenossen im Frühjahr 2013. Während es zuerst noch nach einem Gewaltdelikt aussah, sprach der 17-Jährige im Mai von freiwilligen Handlungen. Noch sei nicht klar, ob er bei dieser Aussage bleiben werde.
Detail am Rande: Das vermeintliche Opfer ist selbst wegen Vergewaltigung in Haft. 15 Jugendliche sind derzeit in der Anstalt in Graz-Jakomini untergebracht und teilen sich jeweils zu zweit eine Zelle.
Untersuchung verweigert
Auch im Missbrauchsfall in Gerasdorf könnte es Beweisprobleme geben, da das Opfer eine umfassende medizinische Untersuchung verweigerte. Der Vorfall geschah im an sich überwachten Fitness-Raum der Justizanstalt, zu einem Zeitpunkt, wo sich die etwa 30 Insassen frei bewegen konnten.
Laut einer Studie des Ludwig-Boltzmann-Institutes für Menschenrechte (BIM) steht Gewalt in österreichischen Jugend-Gefängnissen an der Tagesordnung. Viele jugendliche Insassen schweigen jedoch über ihre Erfahrungen mit Gewalt, da die Gefahr, zum "Wamser" (Verräter) zu werden, zu groß sei. Auch wird es "als sinnlos betrachtet", da die Beamten oft untätig bleiben würden. Details zur Studie
Die Debatte um den Jugendstrafvollzug in Österreich reißt nicht ab. Am Dienstag wurde bekannt, dass es seit Jahresbeginn zu insgesamt vier schweren Übergriffen in Jugendstrafanstalten gekommen ist. Das Justizministerium bestätigte einen Bericht der Presse.
Die Geschichte des 14-jährigen U-Häftlings, der in der Justizanstalt Wien-Josefstadt von drei älteren Insassen mit einem Besenstiel vergewaltigt worden sein soll, ist damit kein Einzelfall.
Ein weiterer Übergriff hat sich auch in der Jugendstrafanstalt Gerasdorf (NÖ) ereignet. Dort soll Anfang Jänner ein 17-jähriger Insasse von einem um ein Jahr älteren Mithäftling mit einem Besenstiel malträtiert worden sein, bestätigt der stellvertretende Leiter der Vollzugsdirektion, Christian Timm im Gespräch mit dem KURIER. „Es wurden sofort alle notwendigen Schritte gesetzt“, erklärt Timm.
Gemeint ist damit eine medizinische Untersuchung des 17-Jährigen. Dabei wurden vom Anstaltsmediziner Hämatome am Körper des jungen Mannes festgestellt. „Eine rektale Untersuchung hat er allerdings abgelehnt“, so Timm. Auch ein Psychologe wurde hinzugezogen.
Gelockerter Vollzug
Zu dem Übergriff soll es im gelockerten Wohngruppen-Vollzug gekommen sein. Die Insassen können sich dort innerhalb einer Abteilung frei bewegen. „Das ist bei der Unterbringung von Jugendlichen üblich“, erklärt Timm.
Nach derzeitigem Ermittlungsstand sind sich die beiden Häftlinge an einem Wochenende tagsüber in die Haare geraten. Die tätliche Auseinandersetzung hat sich fernab der Blicke der Justizwachebeamten in einem Freizeitraum abgespielt. Dabei soll das Opfer mit dem Besenstiel vergewaltigt worden sein. Der vermeintliche Täter gibt zwar den Streit und die Schläge, die zu den blauen Flecken des 17-Jährigen geführt haben, zu. Die Sache mit dem Besen bestreitet der Insasse jedoch vehement. Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt sieht das anders. „Wir haben eine Anklageschrift wegen des Verbrechens der Vergewaltigung eingebracht“, bestätigt Sprecher Erich Habitzl.
Zwei weitere Verdachtsfälle sind der Justiz auch bekannt. Laut Christian Timm hat sich in den Jugendabteilungen der Justizanstalten Graz und Linz auch jeweils ein Vorfall ereignet.
Justizministerin Beatrix Karl hat nach Bekanntwerden der Missstände alle Gefängnisse des Landes aufgefordert, ihr allfällige Übergriffe direkt zu melden.
Razzia in der Josefstadt
In der Justizanstalt Josefstadt fand am Dienstag zudem eine Hausdurchsuchung statt. In diesem Fall geht es um Korruptions- und Drogenvorwürfe. Mehr dazu lesen Sie unter Razzia in Justizanstalt Josefstadt.
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