70 Jahre Jerry Cotton: Auch Andy Borg schrieb schon am FBI-Kultkrimi mit

1954 müht sich Jerry Cotton im Urlaub mit Telegrammen ab, die vier Tage bis nach New York brauchen. "Und das im 20. Jahrhundert", witzelt der etwa 35-jährige FBI-Agent und geht wieder Richtung Meer.
2024 ist Jerry Cotton immer noch 35, immer noch FBI-Agent und immer noch in New York daheim, aber er hat ein Handy und Internetanschluss: Kaum eine andere Romanfigur schaffte den Sprung ins nächste Jahrhundert so elegant – und ohne zu altern – wie Jerry.
In den 70 Jahren seit Erscheinen des ersten Romanheftes des Bastei-Verlages gab es rund 3.500 Krimis in Erstauflage, dazu 616 Taschenbücher, rund 5.000 Abenteuer sind in Zweit- bis Viertauflage erschienen. Macht insgesamt eine verkaufte Auflage von gut 900 Millionen Stück. Und immer noch erscheint pro Woche ein neuer Cotton.
Der Held, der nicht altert
In den 1960er Jahren gab es noch wöchentliche Auflagen von vier Millionen Stück, jetzt sind es "immerhin mehrere Tausend pro Woche“, berichtet Nadine Buranaseda, Lektorin und selbst Autorin von Cotton-Romanen. "Aber der Heftroman wurde bereits vor 40 Jahren totgesagt. Und uns gibt es immer noch, darauf sind wir stolz.“ Da Cotton „mit der Zeit“ gehe, sei man "sehr zuversichtlich, dass noch viele Abenteuer mit dem Helden erscheinen werden“.
Cottons Geschichte in neuer Doku
Der steirische Regisseur Oliver Pink hat sich an die Fersen des fiktiven FBI-Agenten Cotton geheftet und mit seinem Team in zweijähriger Arbeit eine Dokumentation gedreht, die kommendes Jahr zur Ausstrahlung in mehreren TV-Anstalten vorgesehen ist.

Filmemacher Oliver Pink und sein Team arbeiten seit zwei Jahren an dem Projekt
"Die Idee war, generell etwas über den Heftroman zu machen“, beschreibt Pink. Das Genre sei bisher viel zu wenig beachtet worden und wenn doch, mit tendenziösem Einschlag "in Richtung Schundroman. Aber das hat mich als Jugendlicher schon geärgert, dass diese Genre das Image ‚Schund‘ bekommen hat.“
Das Genre. Meist 64 Seiten dünn, geheftet und nicht gebunden sowie meist im Format A5: Das sind die handfesten Rahmenbedingungen eines Heftromans im deutschsprachigen Raum, die diese Form der Literatur in Vergleich zu Büchern billig machen.
Die frühen Heftromane kosteten wenige Groschen und waren so für jedermann leistbar, das brachte ihnen aber auch den unter Fans unbeliebten Beinamen „Groschenroman“ ein. Das Format existiert auch in den USA (Dime Novel) oder in Großbritannien (Penny Dreadfuls). Die Themenbereiche sind breit gestreut und reichen vom Krimi über Arzt- und Heimatromanen bis zu Western.
Einige Serien erreichten Kultstatus wie Perry Rhodan (Science Fiction) oder eben Jerry Cotton (Krimi), wobei es die Geschichten um den FBI-Agenten auch zu Verfilmungen schafften: Cotton wurde in den 1960er Jahren in acht Streifen vom US-amerikanischen Schauspieler George Nader verkörpert.
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Wer sind die Autoren hinter der Figur?
Für die Doku brachte das Team unter anderem einige Autorinnen und Autoren der Romane vor die Kamera, die hinter Perry Rhodan, John Sinclair und eben auch Jerry Cotton stehen – Namen, die (Verlags-)Pseudonyme sind und die wahren Autoren dahinter verbergen.
Pseudonym, aufgedeckt
Aktuell schreiben etwa 19 Männer und drei Frauen Cotton-Geschichten in Ich-Form, seit dem ersten Roman 1954 dürften es rund 170 Autorinnen und Autoren gewesen sein. Viele blieben unerkannt, einige wurden aufgedeckt, durchaus mit Überraschungen: Sänger Andy Borg ließ Cotton ebenso Bösewichte fangen wie Schriftsteller Wolfgang Hohlbein. Erfinder der Figur war Delfried Kaufmann, ein deutscher Autor, er wurde erst 1998 durch einen Journalisten entlarvt.

Das Manuskript des ersten Romans: „Ich suchte den Gangster-Chef“ stellt den FBI-Mann und seine Mitstreiter vor
Apropos Deutsch: Obwohl deutsche, österreichische und Schweizer Autoren Cotton schreiben, spielen die Romane in den USA, konkret in New York. Und das ganz bewusst, schildert Oliver Pink: "Weil es in den 1950er Jahren exotisch war. Damals war New York ganz weit weg.“ Zwar wurden die Hefte in 16 Sprachen übersetzt und sind in 50 Staaten erschienen, aber „bis heute nie in den USA“.
Fanpost ans FBI
Das mag die Verwirrung im realen FBI dann schon erklärt haben, als sich Ende der 1950er-Jahre eine Flut an Fanpost über die US-amerikanische Bundespolizei ergoss: Leserinnen und Leser hielten den fiktiven Agenten für echt und baten schriftlich um Autogramme, berichtet der Regisseur: "Das FBI hat dann eine Zeit lang sogar einen eigenen Mitarbeiter abgestellt, um diese Briefe zu beantworten.“
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